: Zeichentricks von Realisten
Internationaler Ruhm kam erst mit „Prinzessin Mononoke“: Am Montag startet im Abaton eine umfassende Werkschau der Arbeiten des Trickfilmstudios Ghibli mit seinen Regisseuren Hayao Miyazaki und Isao Takahata
von OLAF MÖLLER
Als im vergangenen Jahr Hayao Miyazakis Chihiros Reise ins Zauberland (Sen to Chihiro no kamikakushi) mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, führte das bei Heerscharen von Fans zu Jubelgeschreiausbrüchen, wie man sie schon lange nicht mehr auf der Berlinale gehört hat – der lange, internationale Kampf um Prinzessin Mononoke (Mononoke hime, 1997), seinen Verleih und seine Anerkennung, hatte also Früchte getragen. Ziemlich genau ein Jahr nach diesem Wunder gibt es nun in Hamburg eine Retrospektive des nahezu gesamten Kino-Schaffens des von Miyazaki mitgegründeten Studio Ghibli: zwölf Meisterwerke, die nahezu alle hier noch nie im Kino zu sehen waren.
Studio Ghibli ist für die meisten synonym mit Hayao Miyazaki. Dieses Genie der Träume wie der Geister hat seit seinem zweiten Langfilm, Nausicaä aus dem Tal der Winde (Kaze no tani no Nausicaa, 1984) sämtliche seiner Filme für dieses sein Studio realisiert, dem er auch den Namen gab – Ghibli sind Saharawinde, nach denen Miyazakis liebstes italienisches Flugzeug benannt wurde. Den zweiten Großen des Hauses, Isao Takahata, gleich seinem langjährigen Freund Miyazaki Mitbegründer des Unternehmens, hat man hingegen hier nie so recht zur Kenntnis genommen: wahrscheinlich, weil sein Kino – darunter Meisterwerke wie seine erste Ghibli-Produktion Das Leuchtkäfergrab (Hotaru no haka, 1988) oder Erst gestern (Omoide poroporo, 1991) von der Anlage her realistischer ist als das Kino Miyazakis.
Außer diesen beiden haben nur zwei andere Regisseure unter dem Ghibli-Banner einen Film realisieren können: Tomomi Mochizuki inszenierte Ghiblis einzigen abendfüllenden TV-Anime, The Ocean Waves (Umi ga kikoeru, 1993), während Yoshifumi Kondo für Ein Flüstern im Herzen (Mimi wa sumaseba, 1995) verantwortlich zeichnet. Erwähnt sei noch, dass Ghibli nicht nur Animationsfilme produziert hat, sondern auch eine TV-Dokumentation, sowie diverse Kleinigkeiten in Form von Werbefilmen, Musikvideos, ID-Spots für TV-Kanäle und dergleichen.
Im tiefsten ihres Inneren sind Hayao Miyazaki wie Isao Takahata Realisten – was erst einmal etwas merkwürdig klingt angesichts ihrer gern geisterreichen Welten. Für Japaner ist das jedoch nicht unbedingt ein Widerspruch. Wenn man so will, realisiert Studio Ghibli Film für Film eine beständige japanische Weltsicht, gibt darin jenen Wesen eine Gestalt und Stimme, die die japanische Mythen- und Sagenwelt bevölkern, mit denen, Phantasmen gleich, sich Japaner tagtäglich auseinander setzen. Realismus bedeutet hier primär: eine Genauigkeit in der Darstellung der Dinge, die zu Glaubwürdigkeit führt – dass die Dinge einen Zusammenhalt wie -hang haben, dass sie sich auseinander entwickeln, egal wie eklektisch die Materialien zu sein scheinen. So hat etwa Miyazakis Japan oft merkwürdig mediterrane Züge, was sich auf faszinierende Weise bei Chihiros Reise ins Zauberland mit seinen Geistern aus allen Ecken des Subkontinents zur Vision von einer Pan-Asiatischen Welt wendet. Die Darstellung des Alltags in Mein Nachbar Totoro hat in ihrer gefügten Genauigkeit zu Zeiten Ozu‘eske Züge: Wie da aus winzigsten Beobachtungen und Veränderungen ein Lauf der Dinge wird, zu dem besagte Schutzgeister, die Totoro genauso gehören wie der Katzenbus, oder jene Bäume, zwischen denen sie so gerne herumfliegen.
Zu dieser kompromisslosen Genauigkeit gehört auch, dass Miyazaki und Takahata bis zum bitteren Ende bei ihren Figuren bleiben: Das Leuchtkäfergrab, basierend auf Akihiko Nosakas modernem Klassiker der autobiographischen Literatur, beschreibt das Elend im zerbombten Nachkriegsjapan. Dort bemüht sich ein Junge verzweifelt darum, seine kleine Schwester am Leben zu erhalten – was fast so aussichtslos ist wie der Kampf der japanischen Waschbären gegen die Zerstörung ihrer Wälder durch die Menschen.
Die Produktionen von Studio Ghibli sind humanistisch, phantasievoll, dabei realistisch, ernsthaft wie komisch und immer darum bemüht, von der Größe des Menschen und dieser Welt zu sprechen. Und damit fast so etwas wie das verlorene Paradies des Kinos.
Chihiros Reise ins Zauberland: Mo, 20 Uhr; Der Hexen-Spezial-Lieferdienst: Mo, 22.30 Uhr; Meine Nachbarn, die Yamadas: Di, 17 Uhr; Nausicaä aus dem Tal der Winde: Di, 22.30 Uhr; Ein Flüstern im Herzen: Mi, 17 Uhr; Das Leuchtkäfergrab: Mi, 22.30 Uhr, Abaton (die Reihe wird fortgesetzt bis zum 19.3.)