: Zehn Prozent für Krenz
200.000 sind seit Oktober aus der SED ausgestiegen ■ E R E I G N I S D D R
Für zwei Drittel der Bundesbürger ist klar, daß es keine triftigen politischen Gründe mehr für eine Flucht aus der DDR gibt (nach INFAS). Nicht die geographische, aber ihre politische Heimat SED verließen in den letzten zwei Monaten 200.000 DDR-Bürger. Etwa 70 Prozent davon sollen Arbeiter sein, erklärte ZK-Mitglied Mirtschin. Dafür sollen jetzt aber jene Parteimitglieder rehabilitiert werden, die die Einheitspartei unfreiwillig verlassen mußten, u.a. Robert Havemann und das frühere Politbüromitglied Herbert Häber. Außerdem, so Kulturminister Keller, steht die DDR mittlerweile für die Mitarbeit aller Künstler offen, die das Land verlassen hätten. Er kann sich auch vorstellen, daß es zu einer Verständigung über die weitere Arbeit mit Wolf Biermann kommt.
Trotzdem soll der frühere DDR-Spionage-Chef Markus Wolf auf sein Begrüßungsgeld in der BRD warten müssen. Angeblich lehnt Generalbundesanwalt Rebmann die Aufhebung des Haftbefehls ab. Mit der Bonner Politik beschäftigten sich derweil 200 DDR-Bürger vor der BRD-Vertretung in Ost-Berlin. Sie demonstrierten gegen den „Schutz neofaschistischer Skinheads“ in der BRD und erinnerten an den Tod der Studentin, die vergangenes Wochenende bei einem Polizeieinsatz in Göttingen von einem Auto tödlich verletzt wurde. Apropos Polizei: Der zunächst entlassene DDR -Volkspolizist, der wegen Körperverletzung eines Demonstranten zu 14 Monaten Haft verurteilt worden ist, wurde bis zum endgültigen Verfahrensausgang „ab sofort“ wieder in den Polizeidienst eingestellt... und lediglich beurlaubt.
Der Jugendverband FDJ will nicht länger als „Helfer und Kampfreserve der SED“ fungieren und hat jetzt einen neuen Chef namens Frank Türkowski.
Mehr als 3/4 der DDR-Bürger bestehen nach einer von 'adn‘ veröffentlichten Umfrage auf der Anerkennung ihrer Staatsbürgerschaft. Als Termin für die ersten freien Wahlen in der DDR nennt Egon Krenz derweil Ende 1990. Schlechte Aussichten bestehen dabei für die SED, für die sich laut Umfrage nur 31,5 Prozent ausgesprochen haben, gefolgt von neun Prozent für das Neue Forum.
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