: Zbigniew Rybczynskis "The Orchestra"
Auch in der Videokunst gibt es den großen Abräumer: den einen virtousen Maestro, der alle fetten Preise vom Oscar für Kurzfilme über den MTV Oscar für das beste experimentelle Video und den Emmy für special effects bis zum Prix Italia bereits erhalten hat; und dessen Werke zugleich so kommerziell und experimentell sind, daß er weit über die Videokunstszene hinaus bekannt wurde:
„The Orchestra“ ist die neueste Produktion des in den USA arbeitenden Polen Zbigniew Rybcsynski und ein sehr aufwendig und etwas protzig ausgestatteter Prototyp für die nächste TV-und Videogeneration „High Definition Television“, der auf den neuen Bildschirmen viel besser, schärfer und genauer zu sehen ist. Aber da es leider erst sehr wenige von diesen neuen Glotzen gibt, wird „The Orchestra“ am Mittwoch abend bei Blue Box mit der ganz gewöhnlichen Zeilenzahl gezeigt.
Sechs leider allzu bekannte Hits der klassischen Musik sind von Zbigniew mit Bildern orchestriert worden, und diese ganz und gar künstlichen Inszenierungen wirken zuerst so erstaunlich und neu, daß man selbst das ausgeleierte „Bolero“ von Ravel verzeiht. Da läuft ein Mann auf einer nie endenden Reihe von Brettern in den Wolken umher; jeder einzelne Ton von Chopins „Trauermarsch“ wird von einer anderen Person auf dem Piano angeschlagen; im Louvre tanzen Husaren mit leicht bekleideten Damen vor den berühmten Gemälden von Gericault und Delacroix, und zu den Klängen von Schuberts „Ave Maria“ schwebt ein nacktes Liebespaar in der Kathedrale von Chartres herum.
Diese poetisch absurden Visionen sind mit einer peinlichen Genauigkeit und Raffinesse inszeniert; fast jede Einstellung besteht aus einer Vielzahl von optischen Tricks und Effekten, die die physikalischen Gesetze unserer Welt außer Kraft zu setzen scheinen. Jedes der sechs Tableaus ist für sich perfekt ausgeführt, originell und gelungen — nur: in einer Reihe hintereinander gesehen, wirken sie leider nicht mehr so beeindruckend. Denn schon sehr bald erkennt man die weißen Kaninchen wieder, die Zbigniew aus seiner Zauberkiste zieht. Seine Videos waren vorher ja auch nie länger als eine knappe halbe Stunde gewesen, und diese Produktion ist sicher nur deswegen zu lang, weil das französiche Fernsehen sie mitfinanziert hat und sie auf eine sendegerechte Länge aufgeblasen werden mußte.
Für alle, die dem Meister genauer in die Trickkiste schauen wollen, wird auch noch das Produktionsfeature „The Making of the Orchestra“ gezeigt, und ins Vorprogramm schickt Blue Box Bremer Musikvideos von Günter Wallbrecht. Wilfried Hippen
Blue Box im Café Grün, Fedelhören, Mi., 26.6. um 20.30 Uhr
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