: Zauberstunde im Kinderzirkus
Beim 146:118 gegen Alba Berlin begeisterten die Basketball-Stars um Magic Johnson das überwiegend jugendliche Publikum ■ Aus Berlin Matti Lieske
Mit Michael Jordan und Magic Johnson verhält es sich etwa so wie, um einen etwas unbotmäßigen Vergleich zu bemühen, mit Franz Beckenbauer und Wolfgang Overath. Der eine, Kaiser Jordan, ist vollauf zufrieden mit dem Erreichten, ruht sich auf seinen Lorbeeren aus, spielt am liebsten Golf und betreibt den Sport, der ihn groß gemacht hat, nur, wenn es gar nicht anders geht; der andere, Magic Overath, ist ein Süchtiger, ein Maniac, der jede Gelegenheit wahrnimmt, dem heißgeliebten Ball nachzujagen und unablässig mit einem Team von Alt-Stars durch die Lande tingelt.
Nach dem Olympiasieg in Barcelona wollte der HIV-infizierte Magic Johnson gar zu gern wieder in der Profiliga NBA spielen, doch etliche Kollegen opponierten dagegen. Wegen der Ansteckungsgefahr, sagen sie selbst, weil sie Angst hatten, daß die Los Angeles Lakers mit ihm zu stark für sie sein würden, meint Magic. Frustriert gab er den Comeback-Versuch auf, der Basketball ließ ihn jedoch so schnell nicht los. Flugs versammelte er einen Schwung alter Mitstreiter um sich und zog aus, seine Art von Basketball der ganzen Welt zu demonstrieren.
In erster Linie sei er hier, um Basketball zu spielen, erklärte er bei seinem Auftritt in Deutschland, dennoch war der nie um einen wohlgedrechselten Satz verlegene Korb-Zampano stets bereit, den Streetball-Kids der Neunziger, die ihn abgöttisch verehren, seine Botschaft zu verkünden: „Träumen, versuchen, die Träume zu verwirklichen, und sich vor Aids schützen.“ Von dem Erfolg seiner pädagogischen Arbeit in Sachen Aids, die ihn in Schulen und Jugendclubs führt, ist der 34jährige überzeugt. „Die Kids reden normalerweise mit Erwachsenen nicht über solche Dinge. Mit mir reden sie darüber.“
Seine Botschaft an die Veranstalter, die um seine Künste buhlen, ist ebenso simpel und läßt sich in Dollars ausdrücken. Nicht umsonst antwortet Earvin Johnson auf die Frage, was ihn außer Basketball interessiere: „Geschäfte“. Eine siebenstellige Summe kostet ein Auftritt der Magic-All-Stars, entsprechend deftig sind die Eintrittspreise. 35 Mark mußten für das billigste Ticket in der Berliner Deutschlandhalle hingeblättert werden, dennoch strömten die Fans zuhauf herbei. Zum Spiel gegen den Bundesligisten Alba Berlin kamen doppelt so viele Zuschauer wie zu den Europameisterschafts-Vorrundenspielen der deutschen Nationalmannschaft, und die Stimmmung war etwa zwanzigmal so gut. Von einem nervtötenden Einpeitscher, der einem Kinderzirkus entsprungen schien, wurde das Publikum zusätzlich angeheizt, mit altersgerechtem Entertainment wie BMX- Akrobatik und Breakdance unterhalten, bis der ersehnte Augenblick kam.
Unter frenetischem Jubel betrat Magic Johnson das Spielfeld und legte sogleich los, als sei er Michael Jordan. Dreimal scharwenzelte er in den ersten zwei Minuten durch die Alba-Abwehr und zwirbelte den Ball in den Korb, erst dann besann er sich, daß er nicht allein auf dem Platz stand und streute seine berühmten Pässe aus. Beim Sieg gegen die deutsche Nationalmannschaft in Essen war die Darbietung des Magic-Teams kritisiert worden, häufig gingen die Anspiele des Superstars wegen der Unaufmerksamkeit der Kollegen ins Leere.
Doch die erfahrenen Profis wissen, daß sie für gutes Geld auch gute Leistungen zu bieten haben, und hatten offenbar eifrig trainiert, um nicht noch einmal das Publikum zu enttäuschen. Mit ihrem Durchschnittsalter von 35 Jahren sind Leute wie der 42jährige Bob McAdoo, 1975 zum besten Spieler der NBA gewählt und, glaubt man Magic, in jedem Jahr seiner langen Karriere zum größten Aufschneider der NBA, oder Greg Kelser (35), der mit Earvin Johnson auf dem College in Michigan Sportgeschichte schrieb, als sie die High Five, das Abklatschen mit erhobener Hand, erfanden, zwar nicht mehr so treffsicher und sprunggewaltig wie einst, doch dazu, einen Bundesligisten wie Alba mit Dream-Team-artiger Deutlichkeit niederzuhalten, reicht es allemal.
Nach dem ersten Viertel stand es schon 43:27 für die ehrgeizigen All Stars, die erheblich spritziger und sprunggewaltiger als die Berliner waren und deren Abwehr mit rasanten Ballstaffetten verwirrten, bis ein Akteur völlig frei stand, der dann zum Korb sprang, aber, anstatt zu werfen, mitten in der Luft zu einem weiteren Mitspieler paßte, welcher noch besser stand. Magic selbst zeigte das, was man von ihm erwarten konnte, erzielte 21 Punkte, führte die ganze hinterlistige Vielfalt seiner Paßvariationen vor und forcierte jenes Fast- Break-Spiel, das er mit „Special K“ Kelser in Michigan entwickelt hatte und mit dem später die Lakers ihre Gegner überrollten. Wenn er mal pausierte, sprang der winzige Sam Crawford, kurzfristig für Lakers-Star Kurt Rambis ins Team gekommen, in die Bresche und wuselte den Alba-Riesen so behende um die Beine, daß ihnen Hören und Sehen verging. Die Berliner, vor allem der Slowene Teoman Alibegovic (26 Punkte), spielten keineswegs schlecht, und die Zuschauer quittierten das Spektakel, das am Ende, als die Deckungsarbeit beidseitig eingestellt wurde, zu einem munteren Wettwerfen ausartete, mit stehenden Ovationen.
Die All Stars gewannen mit 146:118, und ihr Zaubermeister versprach, im nächsten Jahr mit einer noch viel besseren Truppe, einem „Magic-Dream Team“, wiederzukommen. Daß dann Michael Jordan mit von der Partie sein wird, daran mochte jedoch selbst der ewig optimistische Earvin Johnson nicht recht glauben, versicherte aber: „Ich werde mit ihm darüber reden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen