Zauberreich des Plunders : Pharaonengrab
Die Kultur der Stadt hat einen großen Verlust erlitten: das Möbelhaus Ecke Sonnenallee und Weserstraße ist nicht mehr. Bis vor drei Monaten war es die Zier Neuköllns gewesen, ein Zauberreich aus Glitzer und Plunder, ein Plastik-Paradies, voll von Gegenstand gewordenem Glampop: Da standen Lampen mit aufwendig verknoteten Füßen, deren Lampenschirmchen wie kleine Blumen anmutig die Köpfchen neigten, Nippes-Glasregale, kleine farbenfrohe Figürchen, Pfennigspender und Schälchen, in denen bunte Murmeln herumlagen. Es gab kunstvoll gearbeitete und bemalte Stuckdecken aus Plastik und riesige Kronleuchter, manchmal drei oder vier Meter hoch. In einer Ecke stand eine colorierte Nofretete, die mit rotem Samt überzogenen Sofakissen prahlten mit Goldquasten an allen vier Enden, die Sessel waren unbequem wie ein Bandscheibenvorfall, aber mit prunkvoll verzierten Armlehnen. Alles funkelte und glänzte und strahlte und blendete. Ein modernes Pharaonengrab, ganz aus Kunststoff.
Es stand lange da, schon damals, als die Sonnenallee nur aus Dönerladen, Apotheke, Dönerladen, Dönerladen, Apotheke, Dönerladen, Bestattungsinstitut bestand; nach zwei Wochen begann man, Zusammenhänge zu sehen. Er war das Schmuckstück zwischen rotierenden Fleischspießen und mit Abführmittelwerbung bestückten Auslagen, eine kleine Luxusillusion; dort gingen Familien hin, um sich überflüssigen Tinnef zu gönnen, der ihnen im Weg herumstehen soll. Wer da einkaufen ging, hatte es geschafft: Die Einrichtungsgegenstände waren zwar unbenutzbar, aber wer sich etwas derart Überflüssiges leisten konnte, hatte sich Respekt verdient.
Die Glitzerwelt ist passé, stattdessen ist ein Biodiscounter eingezogen, bei dem selbst das feilgebotene Obst Sorgenfalten hat. Hier kauft nur ein, wer es sich leisten kann. Freudig lachend kommt niemand mehr aus der Tür. FRÉDÉRIC VALIN