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Archiv-Artikel

Zauberei an der Seidenstraße

In Deutschland wollte Jürgen Gede keiner mehr haben. Jetzt will sich der Trainer aus Bochum in Usbekistan einen Traum erfüllen: Die Teilnahme an der WM 2006

„Usbekische Fußballer sind technisch stark, trainieren aber kaum im Ausdauerbereich und deshalb kommen sie nicht aus dem Quark“

RUHR taz ■ Jürgen Gede hat es eilig: „Ich muss noch einige Kilo Nudeln ordern und darf die Pulsmesser nicht vergessen“. Seit einem Jahr betreut er das Nationalteam von Usbekistan. Vor den Nationalspielen soll alles glatt laufen. Beim Auftakt in der Qualifikationsrunde für die Weltmeisterschaft 2006 kam sein Team am Mittwoch aber nicht über ein 1:1 gegen Saudi-Arabien hinaus. „Das war weniger als erwartet, wir sind aber noch im Rennen“ – Gede glaubt trotzdem weiter daran, das er mit seinem Team an der WM teilnehmen kann. Ende März tritt Usbekistan in Kuwait und in Südkorea an. Der zweite Gruppenplatz reicht, um 2006 dabei zu sein. „Kuwait ist zu packen und gegen Korea können wir an einem guten Tag auch bestehen“, hofft Gede.

Über einen Mittelsmann heuerte der 48-Jährige im September 2003 zunächst als Nachwuchsdirektor in Zentralasien an. „Ich musste erst im Atlas nachschlagen, wo Usbekistan überhaupt liegt“, erinnert sich der Fußballlehrer. Inmitten der Krisenregion um Afghanistan führt die Seidenstraße durch die ehemalige Sowjet-Republik – vor siebenhundert Jahren war hier der Handelsreisende Marco Polo unterwegs.

Sportweltenbummler Gede meint, es habe sich seitdem nur wenig verändert: „Die Bedingungen sind eine Katastrophe, die Trainingsanlagen haben hundert Jahre auf dem Buckel“, schätzt der Deutsche – ein durchschnittlicher Mitteleuropäer würde hier nicht mal auf Toilette gehen. Trotzdem wagte er das Abenteuer – auch weil er in Deutschland keinen geeigneten Arbeitgeber fand.

Knapp 500 Pflichtspiele hatte Gede zwischen 1975 und 1991 bestritten – die meisten für den Zweitligisten Fortuna Köln. „Als Trainer durfte ich mich aber nie richtig beweisen“, sagt der Familienvater. 1992 war er zwei Monate lang Chef-Coach von Fortuna Düsseldorf. Es folgten Assistenz-Posten bei Schalke und Oberhausen, zwischenzeitlich verdingte er sich bei den Oberligisten Kassel und Lippstadt. „Ich hatte meist das Pech, dass bei meinen Clubs gerade das Chaos herrschte“, meint Gede – da half es ihm auch nicht, dass er den Iran als Nationalcoach 1998 zum Gewinn der Asien-Spiele führte.

Als Abqualifikation sieht er seinen usbekischen Job nicht: „Viele Trainer würden das nicht machen – ich bin aber anders gestrickt und habe keine Probleme mit der Mentalität“, sagt Gede. Durch seine Erfahrungen im Iran sei er geduldiger geworden.

Gemeinsam mit zwei Fitness-Spezialisten hat Gede die usbekische Fußballwelt umgekrempelt. „Usbekische Fußballer sind technisch stark, trainieren aber kaum im Ausdauerbereich und kommen deshalb nicht aus dem Quark“ – also ließ der Trainer verstärkt Kondition bolzen. Die Ernährung wurde umgestellt, statt fettigem Fleisch und wenig Flüssigkeit werden Spagetti und isotonische Getränke gereicht. „Total ungesund“ hätten seine Schützlinge früher gelebt: „Heute beschweren sie sich, wenn der Küchenchef die Nudeln nicht rechtzeitig aufs Büfett stellt.“

Pulsmesser und Medikamente bringt er dann von den seltenen Heimataufenthalten aus Bochum-Wattenscheid mit. „Ich muss alles selbst organisieren, Zusagen werden selten eingehalten“, sagt Gede, der sich wundert, wenn der deutsche Bundestrainer Jürgen Klinsmann in die USA fährt, um Abstand zu gewinnen. „Der Klinsi soll nur einen Tag bei uns arbeiten. Dann muss er nicht mehr über Deutschland stöhnen“, schimpft der Familienvater, der erst im März wieder Besuch von seiner Frau Bärbel und Icke Häßler bekommt. Das ist Gedes Chesky-Terrier, dem es egal ist, ob er in Wattenscheid oder in Taschkent Gassi gehen muss.

Erfolg verschaffte dem Coach die Rückendeckung des mächtigen Verbandspräsidenten Zakijan Almatov, dem als usbekischen Innenminister auch das Militär untersteht. „Der Big Boss hat in allen Belangen das Sagen“, weiß Gede und vermeidet es , sich in die Politik einzumischen.

Vor zehn Jahren trat das Land der FIFA bei und das große Ziel des ungeduldigen Almatovs ist die WM-Teilnahme. Nachdem die Fußballer vor einem Jahr mit einem 1:1 gegen den Irak in die Qualifikation starteten, löste der Nachwuchs-Direktor Gede seinen Vorgänger Ravshan Haydarov ab, konnte die nächsten fünf Spiele gewinnen und die erste Qualifikations-Phase als Spitzenreiter beenden. Gede hat das System umgestellt, lässt mit einer Dreierkette und fünf Offensiv starken Spielern agieren. In Gesprächen überredete der Coach acht Russland-„Legionäre“ wieder für ihr Heimatland aufzulaufen. „Mehrere Tage habe ich in Moskau und Rostow verbracht“, erzählt Gede, der nicht mit finanziellen Reizen locken konnte: „Die verdienen alle schon genug, ich musste sie bei der Ehre packen und ihnen die Möglichkeiten einer WM-Teilnahme klar machen.“ Inzwischen hätten es alle kapiert. „Wir sind eine verschworene Einheit. Beim 6:1 über Taiwan führten wir schon nach 40 Minuten 5:0. Alles passte, das war schiere Zauberei“, lacht Gede – im Januar durfte er sogar ein zweiwöchiges Trainingslager in Dubai ausrichten.

Und als Krönung unterschrieb er einen offiziellen Cheftrainer-Vertrag bis Dezember 2005. Vorher sei das aus politischen Gründen nicht möglich gewesen. „Die waren erst alle skeptisch, wenn der Deutsche um die Ecke kam“, sagt der Bochumer, der einen Fußball-Boom in Usbekistan ausgelöst hat. Eigentlich stehen Sportarten wie Ringen oder Gewichtheben höher in der Gunst der 25 Millionen Einwohner.

Den Jahresauftakt gegen Saudi-Arabien verfolgten über 40.000 Zuschauer, die in der Nachspielzeit immerhin den Treffer zum 1:1-Ausgleich durch Anwar Soliew bejubeln konnten. „Kraft und Moral stimmten. Gede brachte uns professionelle Strukturen, er wird von allen geliebt“, sagt der Verbands-Generalsekretär Bakhtier Rakhimov. Und wenn die WM-Teilnahme geschafft wird, dürfte er sogar zum Volksheld werden. Gede eilt in Gedanken schon voraus. Er möchte die WM nutzen. „Sollte es klappen, habe ich alle Optionen. Die Bundesliga, aber auch Italien oder Spanien stünden für mich offen“, träumt er. Dann müsste er sich auch um die Nudelvorräte nicht mehr persönlich kümmern. „Das wäre ein Traum“, sagt er. ROLAND LEROI