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ZahnpflegeTübinger Tubenfund

■ Die anabolisierte Zahncreme kann Dieter Baumann kaum vor einer Sperre retten

Dass Marco Pantani heute Strafanzeige bei der Mailänder Staatsanwaltschaft stellen wird, weil das Epo beim Giro d'Italia in sein Haargel geschmuggelt worden sei, ist natürlich nur ein Gerücht. Ebenso unsinnig wie die Verschwörungstheorien aus Fidel-Castro-Land, dass der kokain-positive kubanische Hochspringer Javier Sotomayor Opfer eines Komplotts – oder vielleicht eines Kompotts? – vom CIA geworden sei. Über diese Version hatte sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) in der Vergangenheit schließlich gebührend empört und lustig gemacht.

Man muss es DLV-Präsident Helmut Digel und seinen Mitstreitern zugute halten, dass sie auch in der Zahnpflege-Affäre um Dieter Baumann schnell gemerkt haben, auf welches Glatteis sie geraten sind. „Er wird behandelt wie jeder andere“, bekräftigte Digel noch einmal, dass sein Verband dem in der Vergangenheit als entschiedener Dopingbekämpfer aufgetretenen 5.000-Meter-Olympiasieger von 1992 keine Sonderrechte zugestehen wird. Das Verfahren wegen der beiden positiven Dopingproben, in denen nach Trainingskontrollen am 19. Oktober und 12. November das anabole Steroid Nandrolon gefunden wurde, geht seinen vorgeschriebenen Gang, obwohl das Kölner Dopinglabor inzwischen entdeckte, dass eine im Hause Baumann entnommene Zahnpastatube mit Nandrolon versetzt war.

Der vor allem aus Sportlerkreisen in den neuen Bundesländern erhobene Vorwurf einer Sonderbehandlung für Baumann lässt sich dennoch kaum von der Hand weisen. In kriminalistischer Kleinarbeit spürte das Labor von Wilhelm Schänzer das dentale Corpus Delicti auf. Ein Aufwand zwecks Entlastung eines Dopingverdächtigen, der nicht unbedingt zu den Aufgaben eines vom IOC akkreditierten Dopinglabors gehört und der nur mit großer Sympathie der Kölner Forscher für Baumann zu erklären ist. Bislang 20.000 Mark, die einem Forschungsauftrag des Innenministeriums entnommen worden seien, hat das Institut laut Focus bereits in die Sache investiert. Dieser Vorgang sei „weder ethisch noch wissenschaftlich“ vertretbar, schimpfte Klaus Müller, Leiter des Dopinglabors in Kreischa, wenig kollegial, und der DLV beeilte sich zu betonen, dass er mit Schänzers Ermittlungen überhaupt nichts zu tun habe.

Die brennendere Frage ist jedoch, was der Fund eigentlich bedeutet. Während Müller den Wert der Zahnpasta als Beweis „gleich null“ einschätzt, schließlich kann sie ja auch vom Sportler selbst manipuliert worden sein, sagt Dieter Baumann selbst: „Ich denke, was bisher passiert ist, setzt alle möglichen Automatismen außer Kraft.“ Michael Lehner, Anwalt des 34-Jährigen, kündigte sogar an, den DLV verklagen zu wollen, wenn dieser Baumann wie vorgeschrieben für zwei Jahre sperre. „Das war ein High-Tech-Anschlag“, ist Lehner überzeugt, der Täter müsse „so eine Art intelligenter Verrückter“ sein.

Das Problem ist, diesen alerten Irren aufzuspüren. Die fragliche Zahnpasta habe er „mindestens schon ein Jahr“, verriet Baumann, weist aber den Verdacht mangelnder Zahnpflege von sich. Er habe ständig mehrere Tuben in Gebrauch. Eine für diesen Fall fatale Gewohnheit, denn sie macht es schwer, wenn nicht unmöglich, den Zeitpunkt der Manipulation zu bestimmen und den Täterkreis einzugrenzen. Fest steht, dass jemand mit dem nötigen Know-how und genügend bösem Willen in den letzten zwölf Monaten irgendwo Zugang zu Dieter Baumanns Zahnpflegeset gehabt haben muss. Ein Beweis für dessen Unschuld ist das nicht, zumal bis gestern noch unklar war, ob die positiven Proben tatsächlich das Pasta-Nandrolon enthielten.

Auch nach dem Tübinger Tubenfund bleibt Baumanns größter, aber wohl wertloser Trumpf seine Persönlichkeit. Viele glauben ihm, doch angesichts einer an Verschwörungstheorien, windigen Ausflüchten und herzzerreißenden Unschuldsbeteuerungen reichen Dopinggeschichte ist dies ohne Bedeutung. Wenn nicht noch ein reumütiger Sünder mit einem glaubhaften Geständnis auftaucht, wird Dieter Baumann wohl gesperrt. Und wenn er der Dopingbekämpfer ist, als der er stets auftrat, kann er sich darüber nicht einmal beschweren. Matti Lieske

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