Zahme US-Finanzmarktreform: Durchmarsch der Lobbyisten
Nach der Lehman-Pleite forderte US-Präsident Obama eine strengere Kontrolle der Finanzbranche. Dank einer Armada von Lobbyisten wurde aus der Reform ein Reförmchen.
WASHINGTON taz | "Meine Regierung schlägt heute eine weitreichende Überarbeitung der Finanzregulierung vor, eine Veränderung, wie wir sie seit den Reformen im Gefolge der Großen Depression nicht mehr erlebt haben." Mit diesen markigen Worten trat US-Präsident Barack Obama im Juni 2009 an die Öffentlichkeit.
Transparenz und Verantwortungsbewusstsein statt Gier und Rücksichtslosigkeit, das sollten die neuen Leitplanken sein für die spätestens seit der Havarie der Investmentbank Lehman Brothers komplett ins Schleudern geratene Finanzbranche.
Gut ein Jahr und eine generalstabsmäßige Lobbykampagne seitens der betroffenen Branche später steht die alles entscheidende Abstimmung bevor: Wird der US-Senat das, was von der "größten Reform" noch übrig ist, absegnen? Oder wird der mühsam zwischen beiden Kammern des Kongresses errungene Kompromiss auf den Schrotthaufen der Geschichte gekippt?
Nur Tage nach Obamas Rede im vergangenen Jahr wurde der erste Widerstand im Kongress laut. Er kam vor allem von den Republikanern, die schon seit den 1980er-Jahren, von der Präsidentschaft Ronald Reagans bis zu der von George W. Bush alles daran gesetzt hatten, die Märkte und speziell die Finanzmärkte vollkommen zu entfesseln. Doch jetzt hatten Obamas Demokraten die Mehrheit in beiden Häusern. Im Dezember verabschiedete das Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf, bei dem den Bankern und Spekulanten tatsächlich mulmig geworden sein dürfte. Im Mai dieses Jahres setzte der Senat nach mit zum Teil sogar noch schärferen Regeln.
Nicht alles war gut - so fehlte zum Beispiel die berechtigte Forderung, die TBTF-Banken ("too big to fail") zu zerschlagen, Banken also, die zu groß und systemrelevant sind, um sie Pleite gehen lassen zu können. Die nach der Weltwirtschaftskrise eingeführte und 1999 wieder abgeschaffte strikte Trennung zwischen Investmentbanken und biederen Geschäftsbanken wurde nur in Ansätzen wieder aufgegriffen. Viele Paragraphen besagten nur, was alles reguliert werden müsse und von wem, aber nicht wie genau.
Aber manches in diesen gut anderthalb tausend Seiten langen Entwürfen las sich, als hätten die Finanzkapitalismuskritiker von Attac die Federführung gehabt: Banken wird der Eigenhandel, also die Spekulation auf eigene Rechnung, verboten, und überdies müssen sie Teile ihres lukrativen Derivategeschäfts abstoßen. Der Handel mit diesen komplexen und riskanten Wertpapieren darf zudem nur noch auf überwachten Handelsplattformen stattfinden. Die Notenbank Fed erhält zusätzliche Aufsichtsbefugnisse, und wenn eine Bank vor der Pleite steht, soll sie von Behörden übernommen und zerschlagen werden können. Strengere Regeln sollen auch für Ratingagenturen gelten, deren dubiosen Urteilen über die Qualität etwa von Schrotthypotheken mit zur aktuellen Krise beigetragen haben düften.
Zusammengenommen hätte das die Finanzbranche zwar nicht revolutioniert, aber es hätte ihre Profite empfindlich geschmälert: minus 23 Prozent für Goldman Sachs, minus 16 Prozent für die Bank of America!, jaulten Analysten der Citigroup auf. Die Ankündigung Obamas, die größte Finanzreform seit der Weltwirtschaftskrise durchzuführen, schien zumindest in Teilen Wirklichkeit zu werden. Doch was in so einem Gesetz an Ende steht, das entpuppt sich erst im Laufe des Vermittlungsverfahrens zwischen den beiden Kammern.
Die Branche war gut vorbereitet. Seit Ankündigung der Reform hatte sie ein Geschwader von rund 1500 Lobbyisten zur Bekämpfung des Gesetzes eingerichtet, das jetzt in geschlossener Formation Kurs aufs Kapitol nahm. Die Kongressmitglieder, die im Vermittlungsausschuss über einen Kompromiss verhandelten, hatten nach Angaben zweier Lobbykontrollorganisationen in den vergangenen zwei Jahrzehnten schon insgesamt 112 Millionen Dollar Wahlkampfspenden von der betroffenen Branche erhalten.
Besonders stark war der Widerstand gegen die Regulierung von Derivaten. Mit diesen höchst komplexen Wertpapieren, mit denen man beispielsweise auf einen künftigen Preisverfall wetten kann, lässt sich nämlich besonders viel Geld verdienen - aber auch verlieren. Sie stellen deshalb ein besonders hohes Risiko für die Märkte dar. Der vorliegende Kompromiss sieht nun vor, dass Banken nur einen kleinen Teil des Derivategeschäfts auslagern müssen, und das auch nicht sofort. Das Verbot, eigenes Geld in hauseigene Hedgefonds zu stecken, wurde mit kleineren Einschränkungen ebenfalls aufgehoben. Auflagen für die Rating-Agenturen wurden gekippt.
Inzwischen begann die Mehrheit für die Reform zu bröckeln. Ein demokratischer Senator war gestorben, und mehrere Republikaner, die Obama zunächst auf seiner Seite hatte, meldeten auf einmal Bedenken an. Daher in letzter Minute noch eine Konzession an diese: Eine zunächst vorgesehene Bankenabgabe von 19 Milliarden Dollar wurde gestrichen. Zuvor schon ebenfalls fallen gelassen: Ein von den Banken einzurichtender 150 Milliarden Dollar schwerer Fonds, aus dem die Abwicklung von Pleitebanken finanziert werden sollte.
Nun wird es wohl dabei bleiben, dass im Krisenfall der Steuerzahler für die Banken einstehen muss. Und allzu spürbare Gewinneinbußen konnten die Banken bis auf weiteres verhindern. "Es gibt allerorten einen Seufzer der Erleichterung", sagte ein Investmentbanker dem Wall Street Journal. Auch wenn die Gewinne - dem Banker zufolge auch nur "anfänglich" - etwas vermindert werden, seien doch eine Zerschlagung von Finanzinstituten und zusätzliche Steuern verhindert worden. Die Reformen nach dem großen Crash von 1929 haben viele Jahrzehnte lang schlimmere Finanzkrisen verhindert. Ob man das von der jetzigen Reform einmal sagen können wird, ist eher fraglich.
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