: Zaghafte Neunziger-Nostalgie
Ein abgehalfterter Eurodance-Star will mithilfe einer Doku-Soap zurück ins Rampenlicht. Mit ihrem Neunziger-Jahre-Charme liegt die Mockumentary „Messiah Superstar“ im Trend
Von Arabella Wintermayr
Bauchfreie Tops, Baggy Jeans, Neonfarben, Tattoo-Ketten und Buffalo-Sneaker – das, was einst mit „Bravo“ und „Viva“-Looks assoziiert war, ist heute wieder angesagt. Selbst Luxuslabels bringen „Y2K“-Kollektionen auf den Markt, während Retro-Mode von Marken wie „Fila“ und „Kappa“ in Second-Hand-Läden zu teils erstaunlich hohen Preisen gehandelt wird. Anders ausgedrückt: Die Neunziger boomen und erleben auch in Musik, Medien und Popkultur ein ungeahntes Revival.
Über die Gründe dafür kann man sich lange den Kopf zerbrechen. Vielleicht funktioniert das Wiederaufleben der Neunziger in multiplen Krisen als kultureller Eskapismus, womöglich als idealisierte Rückbesinnung auf ein vermeintlich optimistisches Lebensgefühl. Fest steht allerdings: Das Jahrzehnt bietet mit seinen schrillen Stilbrüchen und trashigen Pop-Phänomenen auch heute noch reichlich Stoff, um sich ausgiebig darüber lustig zu machen.
Die neue Comedy „Messiah Superstar“ setzt genau hier an und nutzt dafür das „Mockumentary“-Format, das mit Erfolgsserien wie „Die Discounter“ und der gerade mit einem Grimme-Preis ausgezeichneten Produktion „Players of Ibiza“ hierzulande derzeit ebenfalls sehr im Trend liegt.
Im Fokus steht der (fiktive) „Messiah“ (Florian Lukas), eine einstige Eurodance-Größe, die für eine Doku-Soap von einem Kamerateam durch seinen mittlerweile gar nicht mehr so glamourösen Alltag begleitet wird. Der ehemalige Star, der eigentlich Thomas Janowski heißt und mit dem Track „XTC“ im Grunde nur ein einziges Mal die Charts stürmte, kann allerdings nicht recht akzeptieren, dass seine Glanzzeit längst Geschichte ist.
Das Restaurant seiner Mutter Bettina (Johanna Gastorf), das er aus nostalgischem Größenwahn heraus „Eatstasy“ genannt hat, hat er zum überdimensionierten Devotionalienladen umfunktioniert: überall Fanartikel, Plattencover, Poster – und mittendrin eine Bühne, auf der der selbsternannte Musik-Messias höchstpersönlich auftritt.
Vor einem Publikum allerdings, das sich eher zufällig in die Themenkneipe in Berlin-Wedding verirrt hat und meist nicht einmal weiß, wen es da vor sich hat. Seine Allüren muss vor allem der schüchterne Leon (Jonas Nay) ertragen, sein Unterstützer und Hobby-Produzent – ebenso die genervten Restaurantangestellten, darunter die alleinerziehende Nadine (Banafshe Hourmazdi).
Das schräge Setting der Serie, die auf dem Drehbuch von Sebastian Colley („Perfekt verpasst“) basiert, und die hemmungslose Selbstinszenierung des „Messiah“ sorgen zwar zuverlässig für intensive Fremdschammomente – doch wirklich zünden will der Humor nicht immer. Denn statt die absurden Seiten der Neunziger lustvoll zu überspitzen und ihr vorhandenes satirisches Potenzial tatsächlich auszuschöpfen, begnügt sich die Serie allzu oft damit, brav das altbekannte Klischee vom abgehalfterten Star durchzuarbeiten.
Wirklich witzig ist das eigentlich nur dann, wenn sich die echten Chartgesichter von einst ins Geschehen mischen. Sabrina Setlur etwa spielt sich selbst als Ex-Freundin des „Messiah“ – mit sympathischem Sinn für Selbstironie in der Rolle einer bürgerlich gewordenen Vorstadtbewohnerin, die heute Staubsauger verkauft.
Oli P. wiederum tritt als ehemaliger Rivale des „Messiah“ auf. Ihre frühere Fehde flammt im Zuge der Comeback-Versuche des Titelhelden wieder auf und führt zu überdrehten Schlagabtauschen, bei denen sich beide mit unbeirrbarem Ernst um den Thron des Trash-Pop balgen.
Zwischen Neunziger-Nostalgie, Nebenschauplätzen und trendiger Doku-Satire findet „Messiah Superstar“ so zwar immer wieder eine Pointe – bleibt jedoch letztlich zu zaghaft, zu formelhaft und zu vorsichtig, um daraus noch etwas mehr als eine schillernde, aber milde Farce zu machen.
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