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Zäher Widerstand im Mutlanger Blockadeherbst

■ Seit drei Jahren verharren Rüstungsgegner vor dem Pershing–II–Depot / Bis 10. Oktober „Kampagne ziviler Ungehorsam“ Nach Frankfurter Richter auch US–Bürger festgenommen / Dauerblockierer debattieren die Zukunft der Aktionen

Aus Mutlangen Dietrich Willier

Mutlanger Blockadeherbst: „Die kommen nur zum Beten, wir stehen jeden Tag vor dem Tor“. Wird unser Mut langen, fragten sich viele, auch prominente Demonstranten vor und nach der Stationierung der Pershing–II–Raketen auf der Mutlanger Heide bei Schwäbisch Gmünd. Seit drei Jahren vergeht kaum ein Wochenende, an dem die Zufahrten des Mutlanger Raketendepots nicht blockiert werden - gewaltfrei. Fast 2.000 wurden bisher festgenommen und von einem Gmünder Amtsrichter nach einem Nötigungsparagraphen aus dem vergangenen Jahrhundert verurteilt. Viele waren schon im Gefängnis, viele warten noch auf ihren Prozeß. Mutlangen ist zu einem Symbol des gewaltfreien Widerstands, aber auch der Hoffnungslosigkeit und Resignation geworden. Eine wechselnde Gruppe von zehn bis zwölf jungen Frauen und Männern lebt seit drei Jahren in einem notdürftig abgedichteten ehemaligen Vogelhaus, der Pressehütte, und in Zelten. Eine kleine Familie kommt schon ebenso lange jeden Tag vor das Tor der Raketendeponie. Vor über zwei Wochen hat die „Kampagne ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“ begonnen. 70 Gruppen aus der ganzen Republik blockieren bis zum 10. Oktober die Zufahrten des Mutlanger Raketenstützpunkts. 400 Teilnehmer wurden bisher festgenommen, darunter am vergangenen Montag der Frankfurter Strafrichter Hermann Möller und am Mittwoch fünf amerikanische Staatsbürger. Wenigstens ein Ziel der Kampagne, möglichst viele Menschen nicht nur vor das Tor des Raketendepots, sondern auch vor den Kadi zu bringen, scheint sich damit zu erfüllen. „Kampagne“ - am Wochenende gewaltfrei Nachts fällt der erste Rauhreif auf den Mutlanger Raketenstandort, tags geht es ohne Hemd. Ein Herbstwetter, das den Weintrauben die Öchslegrade verpaßt. Wer Zeit hat, steht am Samstagnachmittag auf dem Fußballplatz in Mutlangen. Von hier aus trennt die Fußballfans nur noch ein Maisfeld von den Natodrähten, dem Grüngürtel für die Wachhunde, der fünf Meter hohen metallenen Sichtschutzwand, der Flutlichtanlage und den Wachtürmen des Raketendepots. Auf den Wachtürmen sitzen deutsche Polizisten und amerikanische GIs. Eine Doppelstreife amerikanischer Soldaten in Kampfuniform, mit Schnellfeuergewehren und Funkanlage sichert das Gelände außerhalb. Vor dem Tor sitzen drei oder vier Dutzend Frauen und Männer auf Styroporstücken, singen „Wir arbeiten, wir leiden, wir geben nicht auf“ zu Gitarre und Geige. Ein paar Kinder und Jugendliche in Leder mit bunten Haaren liegen und spielen daneben im Gras. „Bruder Polizist, warum schützt du ihre Pershings“, fragt ein Transparent. Dann, der Bus für die Berliner Gruppe wartet schon, und für 17 Uhr ist ein Gottesdienst angesagt, kommt es doch noch zu Gerangel. Zunächst fast unbemerkt versuchen mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei, mit Blaulicht den PKW eines amerikanischen Soldaten auf die Straße nach Mutlangen zu eskortieren. Doch die Demonstranten sind schneller. Die zähe, schon hundertfach geprobte Rempelräumung beginnt. Die Sitzenden werden zur Seite getragen, manche der jungen Polizisten sind nervös und grob, kaum weggeschleppt sitzt schon wieder der nächste Blockadetrupp auf der Straße, jeden Meter freiwerdende Straße besetzt der nachrollende Konvoi. Eine halbe Stunde dauert das bis zum Abzweig nach Mutlangen. Dann wird ein Kompromiß geschlossen: Der PKW darf weiterfahren, die Polizei zieht sich zurück, die Demonstranten erhalten Namen und Dienstnummer eines besonders harten Polizisten und erstatten Anzeige. Um die zwei Einsatzleiter bilden sich Gesprächsgruppen: Was ist mit Deutschland, wenn der Amerikaner seine Raketen nimmt und geht, gibt ein Polizist zu bedenken. Und ein anderer: „Wir sind eben ein besetztes Land. Ja, wenn so eine Rakete mit Spektakel runtergehen würde, dann müßte man schon was machen.“ Wilfried, ein großer bärtiger Mann mit Strohhut, hat die Blumen am Zaun wieder in Ordnung gebracht. Neben der Zufahrt sitzt auf einem Klappstühlchen Christine, im runden Bauch unter dem weiten Pullover ihr zweites Kind, vor sich ein paar Flugblätter und selbstgemachte Broschüren. Wilfried und ich sitzen schon seit drei Jahren hier. Ich weiß nicht, überlegt Christine, was passiert, wenn die kommenden Wahlen nichts ändern, „einige von uns Dauerpräsenten werden wohl resignieren, andere abtauchen und anders Widerstand machen“. „Dauerpräsente“ in Strategiedebatte Anders als die Aktivisten der „gewaltfreien Blockaden“ sind die „Dauerpräsenten“ aus der Pressehütte uneins, wie es weitergehen soll. Ein paar gehen schon seit Monaten regelmäßig nach Wackersdorf, andere beobachten und verfolgen die Bewegungen der Pershing–Konvois. Im Ort sind sie weitgehend isoliert, einen Aus– oder Neubau der Hütte hat der Mutlanger Gemeinderat bisher verhindert. Die winterfesten Zelte sollen geräumt werden, und im letzten Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters forderte der CDU–Kandidat die Feuerwehr auf, bei einem zufälligen Brand der Pressehütte doch erst einmal ausgiebig zu vespern. Die „Sonntagsspaziergänge“ gehen trotzdem weiter, mit Steinwürfen, zerschnittenen Zäunen und abgeschossenen Flutlichtscheinwerfern, auch gegen den Widerstand der „Gewaltfreien“. Am 10. Oktober wird die „Kampagne gewaltfreier Widerstand bis zur Abrüstung“ beendet sein, dann will man zusammen zur Demonstration in den Hunsrück ziehen.

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