ZWISCHEN DEN RILLEN : … die haben Bärte, die fahren mit
■ Josh T. Pearson: „Last of the Country Gentlemen“ (Mute/Rough Trade) ■ William Fitzsimmons: „Gold in the Shadow“ (Grönland)
Wie uns deutsches Liedgut sagt: „Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein / Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit.“ Wenn also die Bärte das Kriterium sind, dann dürfen Josh T. und William auch mit. Die haben welche. Verdammt üppige sogar. Und auf eine Kaperfahrt würden sich beide sicherlich auch einlassen. Zu gerne würden Josh T. Pearson und William Fitzsimmons das große Glück kapern. Dann könnten sie ihrer Trauer Paroli bieten.
Josh T. Pearsons Stücke treten so reduziert an, sind so sparsam instrumentiert, dass der Körper die Klänge eher erspürt als das Ohr sie hört. Fast endlose Gesänge, gebettet auf zartfühlenden Gitarren und fragilen Streichern, vermitteln den Eindruck, als kämen sie aus dem Jenseits. Sind die Lieder traurig? „Traurig“, fragt sich Josh T. Pearson völlig in sich gekehrt. Fast weltfremd tritt er auf. Vielleicht sogar schwermütig. Er redet nicht. Er sinniert eher. Leise und manchmal kaum vernehmbar. „Schon, vielleicht eher sehnsuchtsvoll. Oder doch quälend?“, fährt er fort. Er wurde von den Geschichten gepeinigt, die er in den Stücken erzählt. „Zeitweise waren sie so qualvoll, dass ich erst das Schlafzimmer und dann das Bett nicht mehr verlassen habe. Überall lauerten das Leben und seine Fallen.“ Doch vor dem endgültigen Absturz bewahrt ihn seine Gitarre, die stets am Bett steht. Zu ihr greift er, wenn der Schmerz übermächtig wird. Dann erschafft er diese leisen Lieder, gibt seinem Schmerz Ausdruck. Schließt ihn im Lied ein, wie das Insekt im Bernstein eingeschlossen ist. Und plötzlich wird für Josh T. Pearson in den Wänden ohne Ausgang eine Tür sichtbar. Über ihr flimmert das Wort Hoffnung. „Das vorliegende Album beweist, dass ich sie nicht nur entdeckt habe“, berichtet er, „ich bin durch sie hindurch gegangen.“ Wenn im Endeffekt auch das Glück noch nicht lauthals lacht, hat Josh T. Pearson ihm zumindest schon ein kleines Lächeln abgerungen.
Hoffnung ist auch das Stichwort für die neuen Lieder des Songwriters und Psychotherapeuten William Fitzsimmons. Wenngleich auch sie sich ebenfalls als Kehrseite der Medaille düstere Melancholie erweist. „Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich entweder meinen Krankheiten hätte nachgeben müssen oder sie direkt angreifen. So oder so konnte ich nicht mehr weitermachen wie bisher.“ Also geht er hin, nimmt sich das „Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen“, ein Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, vor und vertont es. Und greift damit massiv an. Sich und seine Krankheiten. Er schwelgt dabei mit Hingabe in Pianokaskaden, badet den Text in elektronischen Spielereien und suhlt sich in minimalistisch-folkigem Saitengezupfe. Und vertraut vor diesem Hintergrund der Kraft seiner stets zurückgenommenen Stimme. Und die wirkt. So entwickelt sich ein klanglicher Gesamtkontext der Gesundung. Der von Körper, Geist und Seele. William Fitzsimmons hat sich selbst eine musikalische Kur verschrieben. Dass Musik einen positiven Beitrag zur Genesung zu leisten vermag, ist eine Erkenntnis, die bereits aus der Antike stammt. Platon schreibt darüber. Hippokrates ebenso. Und nun gibt es mit William Fitzsimmons einen Vordenker der Moderne.
Doch weil William Fitzsimmons’ Lieder letztendlich auf Heilung ausgerichtet sind und die von Josh T. Pearsons neben dem Leid auch den Glanz des Lebens auskundschaften, blähen Zuversicht und Zukunftsglaube die Segel. Und somit ist auf der Kaperfahrt ins Glück noch nichts verloren. FRANZ X. A. ZIPPERER