ZWISCHEN DEN RILLEN : Fantastische Psychedelik aus dem dänischen Urwald
The Late Great Fitzcarraldos: „s/T“ (Fake Diamond/Word & Sound)
Als große Inspirationsquelle für ihr Debütalbum benennt die dänische Band The Late Great Fitzcarraldos den US-Musikproduzenten Phil Spector. Der erfand einst die schulemachende Wall-of-Sound-Aufnahmetechnik, produzierte das letzte Beatles-Album „Let it be“ und beeinflusste Eigenbrötler wie Brian Wilson, den kreativen (Dick-)Kopf der Beach Boys.
Heute aber sitzt Spector wegen Mordes hinter Gittern, während The Late Great Fitzcarraldos ihr gleichnamiges Debütalbum über Liebe, Sehnsucht und Aufbruch zu fernen Ufern veröffentlichen. Mit dem nackten Geräusch von Meeresrauschen fängt „The Late Great Fitzcarraldos“ an. Dezente Bossa-nova-Rhythmen werden hoch und bald wieder in den Hintergrund gezogen, gefolgt von synthetisch langgezogenen Geigenakkorden, die allmählich eine eigene, hypnotische Melodie entwickeln. Herumflatterndes Flötenspiel malt exotische Vögel in den Himmel, und die Beatles hätten jetzt bestimmt eine Sitar zum Einsatz gebracht.
Die Fitzcarraldos runden das Ganze lieber mit karibischer Percussion ab. Trotz der orchestralen Überladung wirkt der Song „Steeldrum“ leichtherzig und schafft sogar ein Gefühl verträumter Entspannung unter diesigem Sonnenlicht – eine flirrende Leichtigkeit, die sich durch das gesamte Album zieht.
„Das entspringt einer unterbewussten, melancholischen Sehnsucht nach Abenteuern und fremden Ländern, die uns wahrscheinlich prägt, weil wir im klimatisch eher kalten und grauen Dänemark aufgewachsen sind“, kann Sänger Tobias Buch-Andersen die Vorliebe der dreiköpfigen Band für heiß-feuchte Klänge erklären, und fügt hinzu: „Uns fasziniert, wie afrikanische Musikkultur durch die Sklaven nach Amerika gekommen ist und die moderne Musik, angefangen beim R & B, dem Jazz und dem Soul bis hin zum Rock ’n’ Roll, geprägt hat.“ Viele Einflüsse, die nicht zwangsläufig zueinander gehören, reiben sich auf ihrem Album aneinander.
Countryklänge und Ravels Bolero kreuzen sich im Song „Bolerobilly“; der Gesangstil der Beach Boys, bis ins Falsett und mehrstimmig, beschwört Textfragmente aus „Alice im Wonderland“. Werner Herzogs namenstiftende Filmfigur Fitzcarraldo war von der Idee besessen, ein Opernhaus in den unberührten Urwald des Amazonas zu verfrachten.
Spirituelle Verbindung
The Late Great Fitzcarraldos treiben durch das wildwachsende Zusammenspiel musikalischer Ingredienzen unsere Assoziationen zu psychedelischen Fantastereien. Aber weder in Amazonien noch in Honolulu ist das The-Late-Great-Fitzcarraldos-Projekt entstanden: Auf dem Konservatorium in Kopenhagen haben sich die drei Bandmitglieder Tobias Buch-Andersen, Jacob Funch und Jakob Millung (alle Jahrgang 1977) kennengelernt, wo sie studierten. Bei einer gemeinsamen Reise nach Berlin im Frühjahr 2006 offenbarte sich ihnen, dass sie „auf besondere Art musikalisch, ja sogar spirituell, verbunden sind“ erzählt Buch-Andersen.
Zwei Monate später flogen sie weiter nach New York und landeten mittellos in einer Wohnung in Manhattan. „Unsere Kreditkarten waren überzogen, wir mussten also einige Tage lang ohne einen Cent in der Tasche ausharren, und so blieb uns nichts anderes übrig, als zusammen Songs zu schreiben.“ Zwischen dem ersten Song „So You Wanna Go Down“ und dem fertigen Album sind dann noch fünf Jahre vergangen. Das liegt zum einen daran, dass alle Musiker jeweils noch in anderen Bandprojekten involviert sind, zum anderen, dass Tobias Buch-Andersens andauerndes Fernweh ihn 2010 auch noch nach Los Angeles verschlagen hat.
Immerhin kamen sie schneller zu einem beeindruckenden Ergebnis als ihre Vorbilder aus den 1960ern, wie etwa Brian Wilson mit seinem nie fertiggestellten Album „Smile“, das nach letzten Gerüchten im November tatsächlich erscheinen soll. „The Late Great Fitzcarraldos“ kann man uneingeschränkt als würdigen Vorgeschmack darauf empfehlen. ELISE GRATON