ZWISCHEN DEN RILLEN : Ich habe nur zwei Zähne
Elektro Willi und Sohn, „Sauna Suit“ (Modul 8/Intergroove)
Ein „Sauna Suit“, für alle, die ihn nicht kennen, ist ein speckiger Ganzkörperanzug, in dem man vor allem eines tut: schwitzen. Damit eignet er sich nicht für die nächste Party. Und schon gar nicht als Outfit für einen Auftritt von Elektro Willi und Sohn. Denn zu ihrer Musik muss getanzt werden. Getanzt und gelacht.
Mit „Sauna Suit“, dem Titel der neuen Veröffentlichung von Elektro Willi und Sohn verbindet den Namensgeber nämlich, außer seinem feisten Neunziger-Retrolook, herzlich wenig. Drei Jahre sind vergangen seit ihrem Debütalbum „Diamanten“, das die Latte für eine geglückte Verbindung von Technotracks und Sprechgesang, Dancefloor und Humor hoch gelegt hat.
Eingeweihte werden sich an schwer beknackte Verse („Du bist das Knacken in der Rille / das Organum meiner Planung / bist der Knopf an meinem Kittel / bist mein Verbum – ich Artikel“), erinnern. Und sie werden an die super-trashigen Arrangements denken, die dem Trancesound völlig ungeniert frönten.
„Sauna Suit“ versucht jetzt mit vier neuen Tracks an diese Überrumpelungstaktik anzuknüpfen. Nur einer der vier Tracks schafft es über die Ziellinie. „Mein Herz bleibt reglos“ heißt er und ist das Lob dann aber auch wirklich wert. Ein- und ausgeleitet wird das Lied von dem Mitschnitt einer Radio- oder TV-Sendung, in der sich ein Mann, der den Hörern sofort vor dem geistigen Auge erscheint, in fließendem Ruhrgebiet-Slang und merklich ergriffen über einen Hasenzüchterwettbewerb äußert: „So eine Schau, mit so vielen Menschen, so vielen Tieren.“ Das allein ist schon köstlich, aber die Kunst von Elektro Willi und Sohn ist es, die Textpassage durch die Musik in einen anderen Zusammenhang zu bringen. Und zwischendrin schmückt ein rhythmischer Akkordeonbeat eine flott gereimte Geschichte über Einsamkeit und Liebesfrust.
Geblieben sind auch die Assoziationsketten, die die Musik von Elektro Willi und Sohn auslösen. Ständig fühlt man sich an Alltagsgegenstände und Begebenheiten von früher erinnert: An das Quietschen und Knartschen des ersten Supermariospiels für den Gameboy, an Kinderbuchpoesie („Ich bin nur ein Hase, und habe nur zwei Zähne, und denk ich nur an Liebe, so rollt mir schon die Träne“) oder an Kirmestechno der 90er. Aber das Selbstverständnis von Elektro Willi und Sohn ist eben nie so bierernst wie seinerzeit das der „Raving Society“.
„Technofieber“ übertreibt es dann etwas zu sehr mit dem Pillepalle-Spaß à la One-Hit-Wonder Lützenkirchen. „Kurze Hose, Antibiose, ich hab Technofieber“ könnte man problemlos mit dessen „After Hour, vor der Hour, drei Tage wach“ ersetzen.
Was guttut
Dabei haben es Elektro Willi und Sohn gar nicht nötig, in einem Atemzug mit authentischen Party-Hengsten genannt zu werden, deren Tracks ja vor allem adoleszierende Jugendliche als Hymne auf das eigene, ach so wilde Nachtleben mitgrölen. Ein bisschen vermisst man auf „Sauna Suit“ auch die intellektuellen, poetischen Wendungen des „Diamanten“-Albums, die daraus entstehenden Gedankenbilder, die einem zum Tanzen gleich mitgeliefert werden.
Bleibt noch die – leider ausgedachte – Geschichte hinter Elektro Willi und Sohn: Vor etwa fünf Jahren lief es mit dem gleichnamigen Aachener Waschmaschinenladen, den es übrigens tatsächlich gibt, nicht mehr so gut, da versuchten es Vater und Sohn mit Musik und traten ein paar Mal im Hamburger „Golden Pudel Club“ auf. Da rasteten alle aus und längst können Elektro Willi und Sohn Fans jede Zeile, jeden Reim auswendig. Nicht weniger interessant sind die kreativen Köpfe, die sich tatsächlich hinter Elektro Willi und Sohn verbergen, nämlich der Komponist und Produzent Ernst Wawra und der Autor Daniel Ketteler. Wawra ist Inhaber des Aachener Labels Modul 8, das auch Elektro Willi und Sohn produziert, und bastelt ansonsten seit zehn Jahren im Duo Alphawezen an eher melancholisch-seriösen Klängen.
Ketteler ist nicht nur Schriftsteller und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift SIC, sondern auch Arzt. Neben einem Beleg dafür, dass Köpfchen hinter Elektro Willi und Sohn steckt, darf das auch einfach heißen: Da scheint jemand zu wissen, was Menschen guttut. Bewegung, Ausgleich, Alltagsflucht. Mit anderen Worten: Lachen und Tanzen.
CARLA BAUM
■ Live am 5. 11. „Berghain Kantine“, Berlin