■ ZWISCHEN DEN RILLEN: Termiten, Buckelwale und Bergsteiger
Wenn die Monsters of Rock gerade nicht auf Tournee sind, gebiert die Vernunft der Plattenindustrie neue Ungeheuer. Zwei davon sind so häßlich, daß sie per Besprechung gebannt werden müssen. Dabei sieht zunächst, wie immer in solchen Fällen, alles ganz harmlos aus. Ein paar ältere Pop –Businessmen tun sich unter dem Namen Gentlemen Without Weapons zusammen. Sie wollen mal richtig gut sein zum geschundenen Planeten. Ein süßer Traum spukt den alten Hasen im Hirn herum: die Natur selber sprechen zu lassen. Bloß wie? Einfach draufhalten, meint schließlich einer von ihnen. Gesagt, getan. Mit Recordern bewaffnet, ziehen die Gentlemen Without Weapons in verschiedener Herren Länder durch Feld und Wald und nehmen alles auf, was nicht rechtzeitig flieht, ausstirbt oder ohnehin stumm ist. Im guten Glauben, die Natur im Kasten zu haben, kehren sie von ihrer Expedition zurück.
Jetzt beginnt die Präparierarbeit. Es wird zerlegt, gesamplet, kombiniert, arrangiert, rundherum kräftig nachnaturiert, bis das Ding schließlich wieder auf die Öffentlichkeit losgelassen wird. Wer sich schon gedacht hat, daß natürlich nicht Natur aus den Boxen kommt, ist trotzdem erschrocken, wie dreist eine fixe Idee ihr Designerhaupt erhebt. Die Naturklänge sind bloß die Sülze für ein bißchen Zen, ein bißchen Indianermythen, ein wenig Zivilisationskritik und große Mengen der bekanntlich kostenlosen planetarischen Versöhnungssoße, „If you believe you'll make it happen / Just let your love come shining through“. Weil die Klangquelle meist ohnehin nur im Sinne der Recycling-Idee (“Ich war eine Dose“) zu erahnen ist, sind die featured creatures im beiliegenden Programmheft säuberlich aufgelistet. Aha, sagt man sich, da waren Adler und Brüllaffe dabei. Hier nagen jetzt Termiten. Zwischendurch mal ein Elefantensolo, und der Buckelwal ist natürlich auch mit von der Partie.
Das Cover schließlich: Man muß es gesehen haben. Leute hocken meditativ oben auf Telegraphenstangen und glotzen in die Landschaft. Ein pinkfloydeskes Weltrettungsdesign, das einen fertig macht.
Genug gegruselt? Falls nicht, hier das Ganze nochmal andersrum. „Die Schranke zwischen mir und der übrigen Schöpfung war verschwunden. Die wenigen Phänomene wie Eis, Himmel, Felsen, Wind und ich, aus denen das Universum bestand, waren ein untrennbares und heiliges Ganzes.“ – „Wir kamen dem Himmel sehr nahe, überwältigt von dem Gefühl, daß dieser Berg vielleicht ein Freund sein könnte, wenn es uns möglich wäre, ihn zu verstehen.“ Aussagen von Bergsteigern, denen die dünne Luft auf dem Gipfel des K2 zugesetzt haben muß.
K2, das klingt wie ein Kriposonderdezernat oder ein Fleckenwasser, das längst nicht mehr im Handel ist. Abgelebte Träume von Zeiten, in denen Englands Glory noch Berge benannte. Irgendetwas in der Richtung muß den britischen Hardrockveteranen Don Airey (Rainbow, Ozzy Osbourne u.a.) dazu getrieben haben, diesen 8000er musikalisch zu dramatisieren. Daß der Berg 1986 einige Expeditionsteilnehmer, darunter die everesterfahrene Julie Tullis, kühl begrub, gibt schaurigen Stoff für eine Single: „Julie (if you leave me)“.
Doch obwohl die Natur hier erhaben dröhnen darf und gar nicht mehr so gut Freund ist wie bei den anderen Gentlemen, ist das musikalische Resultat ähnlich: wabernde Keyboardwände, schneidende Gitarrensoli, ergriffene Gesänge plus ein Erzähler, der von Gipfelfieber, von Todeszonen und zusätzlichen Personen in der Seilschaft zu berichten weiß. Wie ihrerzeit Alan Parsons' „Tales of Mystery and Imagination“ sind diese „Tales of Triumph and Tragedy“ heilig ernst zu gemeint. Und tatsächlich perhorresziert das kräftig, ob nun als religiöser Schauder, als geschmacklose Gruselrezeptur oder als Verkaufskonzept. Hoffentlich nicht die Konsensmusik der kommenden Jahre.
Thomas Groß
Gentlemen without weapons: Transmissions (A&M)
Don Airey: K2 – Tales of Triumph and Tragedy (MCA)
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