■ ZWISCHEN DEN RILLEN: Grösse in der Nachvollziehbarkeit jedes Tons
Wenn unbestrittene Helden und persönliche Favoriten neue Platten machen, ist man vor unangenehmen Überraschungen nie gefeit. Sowas trifft natürlich auch auf den Wunderknaben und Satans-Clown Glenn Danzig zu, selbst wenn bei dessen drittem Werk „How The Gods Kill“ die verantwortliche Mannschaft die altbekannte geblieben ist. Wie bereits beim Debüt und auf der zweiten „Lucifuge“ zeichnet Rick Rubin, der bärtigste Metal-Produzent seit der Erfindung der Rasierklinge, für den Sound verantwortlich. Wieder hat er die gewaltige Wucht der klassischen Dreierbesetzung aus Bass, Gitarre und Schlagzeug karg in Szene gesetzt und die Stimme von Glenn Danzig alles bestimmend darüber gelegt, doch sind einige Unterschiede zu „Lucifuge“ zu erkennen, dem Album, das zusammen mit der letzten Metallica-Doppel-LP die 90er Jahre machtvoll als metallisches Jahrzehnt einläutete.
Zuerst einmal fehlt die letzte Konsequenz bei der Beschränkung auf das Wesentliche, was nicht nur „Lucifuge“, sondern auch andere von Rubin produzierte Platten wie „Electric“ von The Cult oder „Licensed To Ill“ der Beastie Boys zur Essenz des jeweiligen Genres machten. Auf „Lucifuge“ gab es überdurchschnittlich viele ruhige Passagen, ganze Songs mit akustischen Gitarren, und auf diesem Hintergrund konnte Danzigs Stimme eine bedrohliche Intensität entwickeln, die im allgemeinen Geboller auf „How The Gods Kill“ leicht unterzugehen scheint. Der überaus einfache, aber eben auch überaus wirkungsvolle Trick, die unerhörte Diskrepanz zwischen fast geflüsterten, eindringlichen Beschwörungen und herausgeschrienen, vibrierenden Ausbrüchen zu nutzen, kommt nur noch selten, so im Titelsong, zur Anwendung. Weiterhin vorhanden und weiterhin vorzüglich sind die trägen, fast auf der Stelle rotierenden Gitarrenriffs von Chuck Christ, die in ihrer puren Energie die ganze dumpfe Lust am Sound einer elektrischen Gitarre versammeln.
Daß die Band Danzig eine solch bedrohliche Horrorstimmung entfalten kann, ohne sich den üblichen Experimenten in extremer Langsamkeit oder Schnelligkeit zuzuwenden, liegt zuallererst an der Stimme von Glenn Danzig, die die meisten zwar an Jim Morrison erinnert, was in der Farbe stimmen mag, aber im Vergleich zu Danzig hatte das selige Sexsymbol ein piepsendes Mäuschenorgan.
Ganz sicher nicht bedrohlich sind weiterhin die textlichen Ausflüge von Danzig ins gar so dunkle Reich des Satanismus. In den USA verschafft das seinen Platten jedesmal eine äußerst lächerliche Zensurdiskussion und einige verkaufte Einheiten mehr. In Deutschland sind wir da noch nicht ganz so weit, aber wer ernsthaft glaubt, daß Texte wie „Devil on the left/ Angel on the right/ There's no mistake/ Who I'll be with tonight“ irgendjemanden zu schwarzen Messen anregen könnten, sollte sich schnellstens — wenn kein Lachsack zur Hand ist — ein Danzig-Video besorgen und die verbratenen Klischees als das erkennen, was sie sind: Männerphantasien, die entstehen, wenn die Muskelmasse überproportional ansteigt.
Auch wenn auf „How The Gods Kill“ die ganz großen Ohrwürmer der vorherigen Platte fehlen, dürfte sich Danzigs Dritte immer noch locker an die diesjährige Spitze im eher traditionellen Metal setzen. Dies allerdings auch deshalb, weil die innovativeren Kräfte sich den Death-, Trash- und Doom-Räuschen verpflichtet fühlen und die Weichspüler im Krieg um die Charts beschäftigt sind. So kann Danzig weiterhin die Möglichkeiten im relativ brachliegenden Hardrock austesten. Mal sehen, was Metallica als nächstes tun. Das Cover von H.R. Giger ist übrigens das erste, das der kultisch verehrte Maler seit Jahrzehnten speziell als Plattenschmuck angefertigt hat.
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Zumindest eines verbindet All mit Danzig: Die Suche nach der Reduktion, die dazu führt, den Sound von nahezu allen Überflüssigkeiten zu entkleiden, immer auf der Suche nach der Essenz, immer im Kampf gegen die Redundanz. Was bei Danzig der Metal, ist bei All der Hardcore. Und so wie Danzig eine eher altbackene Spielart des Metal bevorzugen, gilt die Liebe von All weiterhin der Urform des Hardcore. All spielen nur das, was der konservative Metal- Punk-Crossover notwendigerweise braucht. Eine sich aller Kapriolen enthaltende Stimme, eine zwar satt klingende, aber kaum Effekte benutzende Gitarre, ein vorwärtstreibendes, manchmal stolperndes Schlagzeug, einen zahmen Rhythmuswechsel von Zeit zu Zeit und vor allem das gute Break zum rechten Zeitpunkt.
All erinnern an alte Punkheroen wie die Buzzcocks und die Lurkers, klingen aber trotzdem kein bißchen überholt, und das, obwohl sie im experimentierfreudigen Hardcore ein eher konservatives Feld bespielen. Sie bauen vor allem in ihre Instrumentals genügend Verqueres ein, um als halbwegs modern durchzugehen. Ansonsten spielen sie durch, was das reduzierte Konzept erlaubt: zäh dahinfließende, verzögerte Rocker genauso wie sich überschlagende, wieselflinke Fitzelchen. Immer bleiben sie dabei so kontrolliert, daß man trotz der Klangmasse die wahre Entfaltung ihrer Möglichkeiten fürchtet. Ihre Größe liegt in ihrer Durchschaubarkeit, in der Nachvollziehbarkeit eines jeden Tons, was den Ohrwurmcharakter sichert, ohne auf Mitgröhlrefrains angewiesen zu sein.
Danzig: „DanzigIII — How The Gods Kill.“ Def American/ Phonogram 512270.
All: „Percolator.“ Cruz Records/RTD 022.
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