ZDF-Zweiteiler zur NS-Zeit: Das Unglück im Glück

Gemäßigt und gut: Matthias Glasner hat Ursula Krechels buchpreisgekrönten Roman „Landgericht“ verfilmt.

Vater, Mutter und zwei Kinder mit Koffern in der Hand

Die Eltern sind entschlossen, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen Foto: NDR

So viel ist gewiss: Alle Geschichtslehrer des Landes werden diesen Zweiteiler archivieren, um ihn Generationen von Schülern vorzuführen. Alle Geschichtslehrer? Nein! Ein unbeugsamer Björn Höcke wird seine Meinung über die „dämliche Bewältigungspolitik“ nicht revidieren.

Für das Nachdenken über den Nationalsozialismus gibt es keinen Schlusstermin. Dieser Film führt es noch einmal vor Augen. Und das nicht obwohl, sondern weil der Holocaust in ihm nur ein fernes Echo ist.

Keiner aus der Familie mit jüdischem Vater kommt nach Auschwitz. Die Eltern treffen die richtigen Entscheidungen. Alle überleben. Man könnte sagen, sie haben Glück gehabt. Aber dann hätte man den Film nicht gesehen.

„Landgericht“ handelt vom großen Unglück, das (im ersten Teil) Nazideutschland über eine Familie bringt und das (im zweiten Teil) die Bundesrepublik Deutschland danach perpetuiert.

„Landgericht“, zwei Teile, Montag, 30.1. und Mittwoch, 1.2., 20.15 Uhr; „Landgericht – Die Dokumentation“, 21.50 Uhr, ZDF.

Odysee

Was sagt ein Vater (Ronald Zehrfeld) am Frühstückstisch an dem Morgen, an dem er seinen achtjährigen Sohn und seine fünfjährige Tochter in einen der Kindertransporte nach England setzt, nicht wissend, wann und ob er sie je wiedersehen wird? Er sagt: „Soll ich dir ’n Marmeladenbrot schmieren?“

Was denkt eine Mutter (Johanna Wokalek), wenn sie zehn Jahre später in England ihre Tochter doch wiedersieht und diese sie nicht nur nicht erkennt, sondern ignoriert, weil sie, nach einer Odyssee von Dickens’schen Ausmaßen, das Glück gehabt hat, eine neue Mutter zu finden?

Der Vater umarmt seine Tochter.

Was sagt man bei einem Abschied, der für immer sein könnte? Foto: NDR

„Landgericht“ ist die Verfilmung des gleichnamigen, nah an der Biografie des realen Richters Robert Bernd Michaelis entlang geschriebenen Romans von Ursula Krechel, für den sie vor fünf Jahren mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Die Adaption, das Drehbuchschreiben hat Heide Schwochow besorgt. Fünf Filme (zuletzt „Bornholmer Straße“) hatte sie für und auch mit ihrem Sohn Christian geschrieben, nun hat Matthias Glasner Regie geführt.

Fernsehen als Event

Der dreht am liebsten mit Jürgen Vogel (auf den er hier verzichten muss), gerne wilde Genrefilme, stets geht dabei ums existenzielle große Ganze, das er so drastisch wie kompromisslos („Der freie Wille“) und auch, ja: leise („Gnade“) in Szene setzt.

Letzteres wiederum ist dem (mit Benjamin Benedict und Sebastian Werninger) produzierenden Nico Hofmann gänzlich fremd. Sein Verständnis von Fernsehen als Event („Dresden“, „Unsere Mütter, unsere Väter“) kennt keine Grenzen der Überdramatisierung. Er lebt mit dem Vorwurf, dass seine Nazis zu sympathisch rüberkommen.

Es hat sich also ein illustres Team zusammengefunden. Das Reibungspotenzial hat offenbar an den richtigen Stellen mäßigend gewirkt. Es fehlt der Nazibombast. Es fehlen die großen Nazimänner. Die kleinen Nazis zeigen sich, als die allein in Berlin zurückgebliebene Mutter den Hausstand verkaufen muss: „Ersticken soll sie an ihrem Geiz!“

Ursula Krechel goutiert das Resultat mit vornehmer Zurückhaltung: „Dass er jetzt am Ort des Geschehens im ZDF eine Art von Wiedergutmachung erfährt, ist eine freudige Genugtuung – für die Romanfigur und seine Autorin.“ Der Ort des Geschehens ist Mainz, wo der Familienvater nach dem Krieg, nach dem Exil in Havanna, wieder Richter wird und für die Wiedergutmachung kämpft.

Primetime-Zweiteiler

Ein gelernter Jurist, dem selbst großes Unrecht widerfahren ist, der an „das Recht auf Gerechtigkeit“ glaubt, kann den Zeitgeist des Verdrängens nicht akzeptieren. Er kann daran zerbrechen.

Diesen Weg nachzuzeichnen, so empathisch, so unerbittlich und plausibel in der Abfolge der Ereignisse, und dabei noch allen Handelnden und noch dazu dem ganzen Land gerecht zu werden: Das ist für so einen – bis in die kleinen Nebenrollen herausragend besetzten – Primetime-Zweiteiler keine geringe Leistung.

Was sagt eine Frau, wenn sie ihren Mann nach zehn Jahren wiedersieht? Eine überdramatisierte Version der Szene kann sich jeder leicht ausmalen. In „Landgericht“ sagt die Frau einfach: „Du hast ja noch deine alte Brille.“

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