Kuckensema: auf bremens leinwand : Yüksel Yavuz „Kleine Freiheit“
Solch ein einzigartiger Glücksfall für das deutsche Kino ist Fatih Akins Gegen die Wand gar nicht. Natürlich ist der Film dem deutschtürkischen Regisseur besonders gut gelungen und durch den Goldenen Bären samt Medienrummel zum Ausnahmeerfolg geworden. Aber ähnliche Geschichten mit einer vergleichbaren Intensität erzählen auch andere Filmemacher: In Hamburg hat sich in den letzten Jahren schon fast so etwas wie eine Schule des Migrantenkinos entwickelt, als dessen erste Knospe man etwa Jan Schüttes Drachenfutter ansehen könnte.
Der in der Türkei geborene Yüksel Yavuz wurde 1998 für sein Debüt Aprilkinder hoch gelobt. Kleine Freiheit ist sein zweiter Spielfilm, in dem er wieder von Menschen erzählt, die als Fremde in Deutschland leben – Kurden, Afrikaner und Bosnier, die sich in ihren ethnischen Nischen so eingerichtet und abgeschottet haben, dass gebürtige Deutsche darin so gut wie gar nicht vorkommen.
Der Protagonist Baran war bis zu seinem 16. Lebensjahr ein „geduldetes Kind“ in der Bundesrepublik und tauchte danach in St. Pauli unter. Er schläft bei Bekannten und arbeitet als Laufbursche in einem Imbiss. Der Junge schließt freundschaft mit dem gleichaltrigen Afrikaner Chernor, der ebenfalls illegal in Deutschland lebt und als Gelegenheitsdealer arbeitet. Beide leben von der Hand in den Mund und beiden droht die Abschiebung. Eine Zeit lang erzählt der Film wie beiläufig davon, wie die beiden Freunde werden und jeweils das soziale Umfeld des anderen kennen lernen.
Yavuz inszeniert diese Szenen fast wie eine Liebesgeschichte – ja es gibt sogar die Sequenz, bei der die beiden in einem Fotoautomaten zusammen Aufnahmen machen – ein Klischeebild der Kinoromanze. Doch schnell stoßen sie an die Grenzen ihrer „kleinen Freiheit“. Baran kann Chernor keinen Job im Imbiss beschaffen, denn „wer lässt sich schon einen Döner von einem Schwarzen verkaufen?“ Und als im Viertel ein älterer Kurde auftaucht, den Baran für den Tod seiner Eltern verantwortlich macht, kann Chernor ihn nicht von seinen Racheplänen abbringen.
Die einzige Vaterfigur, die den beiden bleibt, ist ein obdachloser alter Käpt’n, der auf seiner Parkbank Seemannsgarn spinnt und Ringelnatz zitiert, ansonsten haben beide nur flüchtige Bekannte, die ihnen zwar wohlgesonnen sind, aber genug mit ihren eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Im letzten Akt taucht dann eine Pistole auf und es gibt Schüsse und Blut, aber vielleicht hätte es dieser dramaturgischen Zuspitzung gar nicht bedurft. Denn bis dahin war Kleine Freiheit eine genau beobachtete Milieustudie gewesen, in der alles authentisch, fast dokumentarisch wirkt. Man hat das Gefühl, jedes Detail stimme, und die beiden jungen Schauspieler Cagdas Bozkurt und Leroy Delmar verkörpern die Protagonisten so glaubwürdig und sympathisch, dass man auch ohne den genretypischen Showdown gespürt hätte, wie tragisch ihre Situation ist.
Wilfried Hippe
Läuft im Cinema