Yelizaveta Landenberger Eastsplaining: Punk’s dead in Belarus
Punk habe es ihr ermöglicht, sich von der konservativen, patriarchal geprägten Gesellschaft abzugrenzen. So schildert es die Aktivistin und Musikerin A. aus Belarus bei ihrem Vortrag über die dortige Antifa-Szene in einem besetzten Haus im Berliner Stadtteil Friedrichshain.
Da es in ihrem Heimatland solche Orte nicht gebe, hätten Punkkonzerte in Garagen stattgefunden, so A. 50 Leute drinnen, der Rest hörte von draußen zu. Allerdings seien die DIY-Konzerte oft von der Omon-Spezialeinheit aufgelöst worden. Diese waren auch im Sommer 2020 dafür zuständig, die Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen mit Gewalt zu ersticken.
„Menschenrechte existieren in Belarus nur auf dem Papier“, sagt A. Garagenkonzerte gebe es in Belarus keine mehr. Wer nicht hinter Gittern sitzt, halte sich möglichst bedeckt oder habe wie sie das Land verlassen.
Igor Bancer, Frontmann der aus dem westbelarussischen Hrodna stammenden Band Mister X, wurde wegen seiner Beteiligung an den Protesten mehrmals festgenommen und reiste später nach Polen aus. Belarussischer Punk war seit jeher links und antiautoritär und dem autoritären Regime deshalb ein Dorn im Auge.
Eine der bekanntesten Bands, Contra la Contra, ebenfalls aus Hrodna, veröffentlichte 2002 ihr einziges, aber international bekannt gewordenes Album mit Songs wie „Geh auf die Straße, hol dir deine Stadt zurück!“, „Putin ist ein Mörder!“ und „Luka, fick dich“. Gemeint ist der Diktator Lukaschenko.
Das belarussische Menschenrechtszentrum Viasna zählt zurzeit 1172 politische Gefangene im Land. Doch in Wahrheit sind es weitaus mehr. Da politische Häftlinge besonders schlecht behandelt werden, möchten viele Verwandte nicht, dass sie von Menschenrechtsorganisationen als solche gelistet werden. Kalte Zellen, keine Hygieneprodukte, Mangelernährung, aber auch Schläge und die Verweigerung medizinischer Hilfe stehen in belarussischen Haftanstalten an der Tagesordnung. Von manchen politischen Gefangenen gibt es über Jahre hinweg kein Lebenszeichen. So war es auch beim oppositionellen Blogger Sergei Tichanowksi – bis er plötzlich am vergangenen Samstag freikam.
Im Zuge des Besuchs des US-Sondergesandten Keith Kellogg in Minsk wurden er und 13 weitere politische Häftlinge begnadigt. Als sich Tichanowski bei den Wahlen 2020 als Gegenkandidat zu Lukaschenko aufstellen lassen wollte, wurde er zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
Statt seiner trat dann seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja an. Der misogyne Diktator ließ sie gewähren, da er einer Frau nicht zutraute, eine ernstzunehmende Konkurrentin sein zu können. Aber sie und andere schafften es, die Massen zum Aufstand zu mobilisieren.
Am Tag nach seiner Freilassung berichtete Tichanowski bei einer Pressekonferenz in Vilnius unter Tränen von den unmenschlichen Haftbedingungen. Er erwähnte auch seinen ehemaligen Mitgefangenen, den Anarchisten Ihar Alinevich, der eine 20jährige Haftstrafe absitzt. Obwohl die Wärter Alinevich aus Schikane das Recht auf Anrufe verwehrten und ihn stattdessen in Isolationshaft steckten, zeige er sich standhaft.
Zusammen mit Tichanowski kam am Samstag der 25 Jahre alte Akikhira Hajeuski-Khanada frei. Ihm und neun anderen Anarchist:innen wurde in einem Scheinprozess vorgeworfen, Teil einer kriminellen Organisation zu sein. Sie wurden alle zu langen Haftstrafen verurteilt.
Yelizaveta Landenberger freie Autorin. Lebt in Berlin und bereist regelmäßig Staaten in Osteuropa.
Laut dem Anarchist Black Cross Belarus gibt es aktuell 26 politische Gefangene aus der Antifa-Szene. Einige von ihnen wurden für die Teilnahme an den Protesten oder Graffitis gegen Lukaschenko und den russischen Angriffskrieg verurteilt. Andere, wie Alinevich, für Brandanschläge.
Auf der Webseite von abc Belarus kann man für die Gefangenen und deren Familien spenden oder online Briefe in die jeweiligen Strafanstalten schicken. Dass sie wirklich bei den Adressaten ankommen, ist zwar nicht sicher, aber man sendet ein wichtiges Signal an das Regime: Diese Menschen werden nicht vergessen.
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