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Archiv-Artikel

YOANI SÁNCHEZPOLITIK VON UNTEN Plötzlich scheint alles möglich

Die kubanische Staatsmacht lässt erste politische Gefangene frei. Grund zur Freude – aber keiner, sich zurückzulehnen

Anfang des Jahres bewegte der Hungerstreik des politischen Gefangenen Orlando Zapata Tamayo die Öffentlichkeit in und außerhalb von Kuba. Einen Tag nach seinem Tod trat der Psychologe und Journalist Guillermo Farinas im Februar in einen Hunger- und Durststreik, forderte, dass die Regierung zumindest die Gefangenen aus der Haft entlässt, denen es gesundheitlich sehr schlecht ging. Präsident Raúl Castro erklärte öffentlich, dass er ihn lieber sterben lassen würde, als sich dieser Erpressung zu beugen.

Die Bewegung der „Damen in Weiß“ forderte die Regierung mit Protestmärschen durch Havanna an sieben aufeinanderfolgenden Tagen heraus. Sie wurden von Parteigängern des Systems beschimpft und geschlagen, die so taten, als seien sie spontan empörtes Volk, die aber stets mit Bussen zu den Demostrecken gefahren wurden. Die scharfe Reaktion der katholischen Kirche auf diese Angriffe erreichte ein Ende der Attacken und die Zusage der Behörden, sich zu Gesprächen zusammenzusetzen. So etwas hatte es noch nicht gegeben.

Als Ergebnis dieser Gespräche wurde der Kompromiss erreicht, alle diese politischen Gefangenen binnen vier Monaten frei- und nach Spanien ausreisen zu lassen. Das kann als positives Signal an jene angesehen werden, die auf einen tiefgreifenden Wandel in Kuba hoffen.

Doch es nutzt nichts, wenn die Regierung eine Gruppe politischer Gefangener freilässt, ohne die Gesetze dafür zu beseitigen, jederzeit wieder genauso viele aus exakt den gleichen Gründen einzusperren. Bis heute ist das sogenannte Knebelgesetz Nummer 88 in Kraft, das lange Haftstrafen für alle androht, die mit ausländischen Medien zusammenarbeiten oder ihnen Interviews geben. Es gibt keinen legalen Weg, Vereinigungen einzutragen. Und alles, womit Bürger ihre Unzufriedenheit mit der Regierung ausdrücken könnte, gilt als „Feindpropaganda“.

Für die Opposition ist die Freilassung der Gefangenen Grund zur Freude. Aber wir sind weder dankbar, noch können wir uns beruhigt zurücklehnen. Solange nicht, wie Widerspruch noch unter Strafe steht. Solange Raúl Castro nicht öffentlich zusichert, dass niemand mehr wegen seiner Meinung inhaftiert wird.

Sicher ist: Der Eindruck, dass sich hier nie irgendetwas ändern wird, ist plötzlich einer Situation gewichen, in der alles möglich erscheint. An welchem Punkt hat die Geschichte begonnen, sich zu ändern? In der dunklen und fauligen Zelle, in der Orlando Zapata Tamayo entschied, sich zu opfern? In der sterilen und klimatisierten Intensivstation, wo Guillermo Farinas sich entschloss zu sterben, wenn es keine Freilassungen geben würde? Oder in den Straßen von Havanna, in denen einige wehrlose Frauen die Staatsmacht herausforderten, in dem sie das Wort „Freiheit“ riefen, wo es keine gab? Die Geschichte wird sich verändern, das hat sie immer getan. Zumindest dafür können wir sorgen.

Die Autorin ist Bloggerin aus Havanna Foto: dpa