: Wundersamer Turm
Sie hat enge Holzbänke, nicht überall eine gute Akustik, dafür sitzt das Publikum nah an der Bühne. Die mobile RheinOper am Düsseldorfer Landtag scheint ideal für kleine und experimentelle Formen
VON REGINE MÜLLER
Es ist ein zugiger Ort, an dem in Düsseldorf seit einigen Wochen ein nüchterner, fensterloser Bau steht, der von ferne die Poesie eines Getreidespeichers besitzt. Zwischen Landtag und Rheinturm hat die Deutsche Oper am Rhein nach langem Tauziehen mit der Politik ihre Interimsspielstätte aufbauen dürfen, die sie nun zehn Monate bespielen wird. Am Freitag nun wurde die RheinOperMobil, kurz ROM genannt, mit dem Ballett „Romeo und Julia“ von Sergej Prokofjews eröffnet.
Die überfällige Sanierung des Stammhauses an der Heinrich-Heine-Allee machte dies aufwändige Manöver nötig, das im Vorfeld heftig diskutiert wurde. Erst träumte man von den Rheinwiesen als Ort für die ROM. Als dieser Traum platzte, wurde laut darüber nachgedacht, den Düsseldorfer Spielbetrieb für die Sanierungszeit ins Duisburger Haus der Rheinoper umzulenken. Schließlich wurde der Bau der Interimsspielstätte in letzter Minute dann doch noch abgesegnet und mit leichtem Verzug im Zeitplan vollendet.
Die 1,6 Millionen Euro teure RheinOperMobil ist eine sechzehneckige Stahl-Holz-Konstruktion, die sich am historischen Vorbild des elisabethanischen „Globe“-Theaters der Shakespeare-Zeit orientiert. „Mobil“ steht nicht nur dafür, dass das behäbige Musiktheater beweglich wird, sondern dass der Bau in sich mobil ist: in Einzelteile zerlegbar, kann er schnell auf- und abgebaut werden. Sollte sich die RheinOperMobil bewähren, könnte sie so etwas wie ein Prototyp für Sanierungskandidaten werden. Denn etliche Häuser haben bereits jetzt oder in naher Zukunft das Problem, den Spielbetrieb während einer Grundsanierung auslagern zu müssen. In Kassel spielt man seit geraumer Zeit in einem Zelt, Aachen hat eine Zelt-Episode gerade hinter sich und in Bielefeld muss die betagte Oetker-Halle mehr recht als schlecht das Theater ersetzen.
Den vollständigen Ersatz eines normalen Opernhauses indes will die ROM gar nicht bieten, sondern das Experiment einer in jeder Hinsicht alternativen Theaterform wagen. Es gibt hier weder Unterbühne noch Schnürboden, ergo können nur bescheidenste Kulissen und Versatzstücke zum Einsatz kommen. Ein bisschen Lichtregie muss reichen, ansonsten sind die Akteure auf sich und ihre Kunst zurückgeworfen. Die Bühne ist für alle 800 Plätze ziemlich nah, das Orchester sitzt direkt davor, ohne den dämpfenden Deckel eines Orchestergrabens. Im Klartext bedeutet das, dass die Oper in diesem rustikalen Raum bewusst auf einige ihrer Grundvoraussetzungen verzichtet: die Distanz zwischen Bühne und Publikum, opulente Bühnenbilder, Verwandlungstechnik, die Unsichtbarkeit des Orchesters und der Glamour eines luxuriösen Ambientes.
Hier sind Holzbänke mit Kissen angesagt, es ist eng, aber gemütlich, Stützpfeiler verbauen mancherorts die Sicht, aber das Theater ist hautnah, vielleicht zu nah. Beim Eröffnungsabend mit Youri Vàmos beliebter (neun Jahre alter) „Romeo und Julia“-Choreografie war es jedenfalls ein desillusionierendes Erlebnis, aus nächster Nähe zu sehen, wie viel harte Arbeit in tänzerischer Leichtigkeit steckt. Andererseits wird Theater-Energie elektrisierend spürbar und die handfeste Wonne des Authentischen ganz unmittelbar erlebbar. Arte povera, fürwahr.
Einige Kinderkrankheiten sollen noch behoben werden, denn das Klima erwärmt sich zu rasch, es wird allenthalben gebastelt. Und die Akustik? Für Prokofjews üppig besetztes Orchester ist der Raum zu klein, das Blech knallt, unten zerfällt der Klang in seine orchestralen Einzelteile, oben mischt es sich gut, klingt intensiv, bleibt aber trocken. Auch für die Sänger wohl alles andere als ein Zuckerschlecken.
Dieser wundersame Theaterturm scheint ideal für die kleinere Form, für Barockes, frühen Mozart, Rossini, Lortzing, kurzum: für spielfreudiges Musiktheater. Gut vorstellbar auch, dass man hier Experimentelles in Workshop-Atmosphäre zeigt. Das Publikum jedenfalls scheint die Mängel im Komfort zu ignorieren. Den vibrierenden Holzboden bearbeitete es am ersten Abend mit lautstarkem Begeisterungsgetrampel.