Wühltisch: Pump up the volume
■ Der Moonboot ist kein Schuh, sondern ein aufgeblasenes Glaubensbekenntnis, in dem man laufen kann. Als Edeltrash erwacht er derzeit zu neuem Leben
In den siebziger Jahren waren sie hip, dann waren sie plötzlich weg vom Fenster. Nachdem wir schon fast vergessen hatten, daß es derlei überhaupt gibt, sind Moonboots wieder da – und mit ihnen ein Stück Geschichte.
Angefangen hat alles vor 40 Jahren, als im Jahr 1957 die Sowjetunion den ersten Satelliten ins All katapultierte und der Westen den legendären „Sputnik- Schock“ erlitt. Das eröffnete die letzte Phase eines sportlichen Wettkampfs der beiden Supermächte – um die Vorherrschaft im Weltraum und ums definitive politische Prestige. Kapitalismus oder Kommunismus war ja derzeit noch eine Frage. Als vier Jahre später Jurij Gagarin durch die Erdumlaufbahn schwebte und das kommunistische Zentralkomitee der Weltöffentlichkeit erklärte, dieser Flug demonstriere „das Genie der Sowjetunion“ und die überragende Power des Sozialismus, blieb Amerika nur noch die Flucht nach vorn. John F. Kennedy konsultierte die Nasa und verblüffte danach die Welt durch seinen legendären Ausspruch, noch vor Ende der Dekade werde Amerika den ersten Menschen auf dem Mond landen.
Wie es weiterging, ist bekannt. Ein epochales Ereignis folgte dem nächsten. Erst wurde mit der TV-Serie „Star Trek“ das amerikanische Publikum auf die neue Führungsrolle Amerikas vorbereitet. Dann setzte Neil Armstrong am 20. Juli 1969 tatsächlich als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond, und ein halbes Jahr später wurde der Moonboot in Serie gegeben.
Dieser unförmige Winterstiefel war mehr als ein Schuh, er war die erste ausdrückliche Hommage der Mode an die Überlegenheit amerikanischer (!) Spacecraft. Zwar war auch früher schon futuristische Kleidung entworfen worden. Doch wenn Designer wie Paco Rabanne, Pierre Cardin oder André Courreges Mitte der sechziger Jahre Polyesteroveralls mit fetten Reißverschlüssen und Antennen als Weltraummode verkauft hatten, träumten sie von Jurij Gagarin. Cap Canaveral brachte keine Gefühle in Ekstase. Das wurde jetzt anders.
1970 kam der italienische Hersteller Tecnica mit dem Moonboot heraus, der mit seinem genialen Namen und dem gelungenen Produktprofil in Europa sofort ein Erfolg war und etwas später auch in den USA Fuß faßte. Äußerlich war er eine freie Neugestaltung des echten Appollo-Stiefels, dazu praktisch, pflegeleicht und preiswert und enthob alle demütigender Paßformprobleme. In seinen vier Sammelgrößen mit den jeweils identischen Schuhpaaren und dem automodellierenden Thermofutter waren alle Füße dieser Welt gleich – gut aufgehoben. „Reintreten und sich als Weltraumeroberer fühlen.“ Der Moonboot war eine Thermowatte gewordene Hymne auf die westliche Demokratie und den unbegrenzten technischen Fortschritt.
Mit der Erdölkrise von 1972 und einer einsetzenden Ökologiediskussion verblaßten die modischen Reize des Kosmonautenschuhs. Gleichzeitig drängten sich neue „Flokati-Mutanten“ auf den Markt. Bei gleichem Funktionsangebot warben sie statt mit cleaner Space-Optik mit tierischer Natürlichkeit, waren aus echtem Fell, auch im Mongolenstil mit Wildlederfransen dekoriert. Billigimitate begnügten sich mit Kunstpelz. Anfang der Achtziger verschwanden jedoch auch diese barocken Modelle in der Bedeutungslosigkeit.
Jetzt ist das Unbegreifliche geschehen, und Moonboots kommen wieder. Man sieht sie nicht nur vermehrt in Schaufenstern und auf dem Laufsteg, sondern auch schon im wirklichen Leben. Bevorzugt jugendliche weibliche Fashion-victims kostümieren sich darin als postmoderne Barbarellas und greifen zu diesem Zweck sowohl zu den klassischen Modellen von Tecnica als auch zu teilweise noch heftigeren Neuinterpretationen.
Warum sich coole Girls von heute so etwas antun, bleibt rätselhaft, wo es doch auch Stiefel gibt, die so aussehen, als ob sie für menschliche Füße gemacht sind. Aber wer Mode will, muß leiden, das war schon immer so.
Wir grüßen den Mondstiefel und seine trashigen Look-a-likes als Pop art für die Füße und als historisches Zeugnis vom Triumph der Konsumgesellschaft über Jurij Gagarin und die Diktatur des Proletariats. Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie den Club of Rome. Nike Breyer
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