Wortgefecht: Harry hat die Längste
Mit der längsten Regierungserklärung der Landesgeschichte startete CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen die Legislaturperiode in Schleswig-Holstein. Die Opposition zahlte mit gleicher Münze zurück.
![](https://taz.de/picture/330643/14/cyber_hhN1_castro_5sp_sw.jpg)
Ein Schauspiel von Wagnerschen Dimensionen präsentierte am Mittwoch der schleswig-holsteinische Landtag: 64 Minuten dauerte die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen, rund vier Stunden die Antworten aller sechs Fraktionen darauf. Nach Angaben der Fraktionen im Landtag handelte es sich um die längste Regierungserklärung, die jemals an der Kieler Förde gehalten wurde. Bei der Regierungserklärung im Mai 2005 sah Carstensens Manuskript 4.226 Wörter vor. Am Mittwoch wurden es 6.479 Wörter.
Carstensen gestaltete seine Lieblingsrolle als "der Landesvater" mit sonorem Klang. Er hielt sich an das Lied von "Aufbruch und Verantwortung", auf das sich CDU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag geeignet hatten. Er appellierte an das Gefühl - "Es ist ein steiniger Weg, aber wir gehen ihn gemeinsam" - und an die Vernunft: "Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität."
Ferner nannte Carstensen eine Reihe von Punkten, die die schwarz-gelbe Regierung anpacken wolle. Dazu zählen Stellenabbau, Kürzungen im sozialen Bereich und Investitionsförderung. Das Land will die Neuverschuldung stoppen, Haushaltskonsolidierung sei ein "moralisches Gebot". Einschnitte kündigte er auf allen Ebenen an, unter anderem im sozialen Bereich, aber auch bei Kommunen und Städten: Man bilde zwar eine "Schicksalsgemeinschaft", habe aber kein zusätzliches Geld.
Zehn Punkte, mit denen der Haushalt konsolidiert werden soll, nannte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen in seiner Regierungserklärung.
Im Landesdienst sollen bis 2020 zehn Prozent der Stellen abgebaut werden. Eine von der Regierung bestimmte Kommission prüft die Aufgaben der Verwaltung.
Im sozialen Bereich oder Umweltschutz soll es künftig Projekt- statt Strukturförderung geben und damit vermutlich Kürzungen.
Auch für die Wirtschaft werden Investitionen "überprüft". Das Land wird häufiger auf EU- und Bundesmittel verzichten, wenn diese kofinanziert werden müssen.
Gegen Steuersenkungen auf Bundesebene wehrte sich Carstensen: Sie dürften nicht zu Lasten der Länder gehen.
SPD-Fraktionschef Ralf Stegner stellte danach in einer ebenfalls einstündigen Rede fest, Carstensen habe "viel geredet, wenig gesagt" und sei in der Sozial- und Frauenpolitik "nicht konservativ, sondern reaktionär".
In der Rolle des jungen Herausforderers gefiel Robert Habeck (Bündnis 90 / Grüne) beim ersten großen Auftritt auf der Landeshausbühne. Die Sparpläne mit "Gießkanne und Rasenmäher" bedeuteten "nicht regieren, sondern schrebergärtnern".
Habeck qualifizierte sich für die Rolle des heimlichen Oppositionsführers, muss aber noch zeigen, ob er gegen die beiden anderen Anwärter auf diesen Posten, Ralf Stegner (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP), bestehen kann - letzterer ist etwas gehandicapt, da er nun einer regierungstragenden Fraktion angehört. Entsprechend verhalten agierte Kubicki, der unter anderem auf die HSH Nordbank einging. Das Land will seine Anteile verkaufen, der Untersuchungsausschuss werde die politische Verantwortung untersuchen.
Gewohnt souverän übernahm Anke Spoorendonk (SSW) die Paraderolle als "Stimme der Vernunft". Sie erinnerte Carstensen angesichts seiner Sparpläne daran, dass er nicht nur Landesvater der Wirtschaft, sondern auch der HIV-Positiven, der Obdachlosen oder der psychisch Kranken sei: "Die Schwächsten brauchen unsere Unterstützung."
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