Woody Allens neuer Film: Schwarz wie Motoröl
"Cassandras Traum" sollte in Deutschland nur auf DVD erscheinen. Jetzt kommt er doch ins Kino: ein misanthroper Streich, mit dem Woody Allen seine London-Trilogie beschließt.
Nach "Scoop" konnte man ernste Zweifel an Woody Allens England-Projekt hegen. Allens zweiter Film aus dem europäischen Exil ebnete alles ein, was der erste, "Matchpoint", an vielversprechendem Motiven für die London-Trilogie vorgegeben hatte: Klassendünkel, der zynische Widerspruch von äußerer Kultiviertheit (geschmackvolle Interieurs, gepflegte Umgangsformen) und den Abgründen der menschlichen Seele und der moralische Preis, den man für das bessere Leben notwendigerweise bezahlt. Dass "Scoop" das schwache Glied in der Trilogie war, war unumstritten; zur Debatte stand, ob Allen mit "Cassandras Traum", dem letzten Teil, wenigstens noch die Kurve kriegen würde. Auch der deutsche Verleih Constantin zeigte nicht viel Vertrauen in "Cassandras Traum", als er ankündigte, den Film nur auf DVD herauszubringen. Vom Ausmaß der Solidaritätsbekundungen, die dieser Ankündigung folgten, war man bei Constantin wohl am allermeisten überrascht. Der Filmemacher Woody Allen mag den Zenit seiner Karriere überschritten haben; als Institution scheint er weiter unerlässlich. Der turnusmäßige Allen-Film ist längst zur Gewohnheit geworden - und ist dabei immer wieder für eine Überraschung gut, wie eben gerade in Cannes anhand der jüngsten Arbeit "Vicky Cristina Barcelona" zu beobachten war.
Dass "Cassandras Traum" jetzt doch noch in den Kinos anläuft, hat etwas von einer Wiedergeburt - wenn auch keiner künstlerischen. Allen ist es immerhin gelungen, das London-Kapitel mit einem prächtig misanthropischen Streich abzuschließen und damit auch seine Trilogie zu rehabilitieren. "Cassandras Traum" übertrifft selbst "Matchpoint" an Niedertracht, ohne dass die Figuren selbst besonders unsympathisch gezeichnet sind. Das hält Allen nicht davon ab, sie gnadenlos in ihr eigenes Verderben rennen zu lassen. Moralische Relativierung oder wankelmütiger Sarkasmus sind ihm fremd. "Cassandras Traum" ist schwarz wie das Motoröl unter den Fingernägeln Colin Farrells.
Man beginnt auch zu verstehen, was Allen an England als Schauplatz so fasziniert. Das Klassendenken ist hier noch fest in den Köpfen verankert. Für eine New Yorker Künstlerseele wie Allen scheint dieser Determinismus latent masochistische Züge zu tragen. In "Matchpoint" führte er vor, dass man über Leichen gehen muss, um die Klassenschranke zu überwinden. Die Hauptfiguren von "Cassandras Traum" werden für ihre Übertretung nun umso bitterer bestraft. Allen erzählt seine Geschichte aus der Sicht zweier Arbeiterkinder, gespielt von Colin Farrell und Ewan McGregor. Damit dürfte "Cassandras Traum" auch der erste Allen-Film sein, der unterhalb des Bildungsbürgertums, das seine Filme sonst bevölkert, angesiedelt ist.
Ian (Farrell) und Terry (McGregor) streben nach Höherem, aber ihre Herkunft haftet ihnen an wie ein muffiger Geruch. Sie sitzt in jeder Hautpore, in ihrer Kleidung, ihrer Sprache. Ian arbeitet als Mechaniker in einer Autowerkstatt. Dem Traum von einem besseren Leben kommt er beim Pokerspiel und seinen Ausflügen auf die Rennbahn kurzzeitig näher. Terry sucht das Glück gleich außerhalb seines Standes; seine Freundin Angela (Hayley Atwell), eine Schauspielerin, entstammt schon eher dem Milieu, das man aus Allens amerikanischen Filmen kennt. In "Cassandras Traum" stempelt sie das zur Außenseiterin; trotzdem legt sie die Fallhöhe fest, aus der die Brüder stürzen werden. Als die ihren reichen Onkel aus Amerika (Tom Wilkinson) um das nötige Kleingeld bitten, setzen sie eine Dynamik in Gang, die schnell außer Kontrolle gerät. Denn der Onkel hat selbst ein Problem: Er muss dringend einen Partner loswerden, der von einigen schmutzigen Geschäfte Wind bekommen hat. Der Pakt, den sie schließen, ist mit dem Blut der Familie besiegelt.
"Cassandras Traum" ist gezeichnet von einem nihilistischen Weltbild, gegen das die neurotische Paranoia, wie man sie aus Allens früheren Filmen kennt, regelrecht erfrischend wirkt. "Cassandras Traum" dreht sich nicht mehr um Fragen moralischen Handelns, vielmehr erklärt er das Töten selbst zu einem Wesenszug der Conditio humana. Das zivilisatorische Häutchen ist dünn; Mordlust kennt keine Standesschranken. Der sozial aufwärtskompatible Terry hat das bereits erkannt. Ian aber ist so weit noch nicht; ihm mangelt es schlicht an der Vorstellungskraft, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Das ist eine Schuld, für die er schließlich büßen muss. Die verschiedenen Stadien seiner psychischen Demontage lassen sich sehr schön in Farrells Gesichtszügen beobachten. Strafe erwartet die Brüder sowieso, egal wie sie handeln. Darin besteht bei Allen die Loose-loose-Situation ihrer Herkunft.
Man muss Woody Allen vielleicht nachsehen, dass sich sein Spätwerk mit solchen intellektuellen Vignetten begnügt. Das Zeichnen realistischer Milieus hat nie zu seinen Stärken gehört, und auch das Lokalkolorit von "Cassandras Traum" leidet unter einer gewissen Steifheit. Was seinen letzten Filmen völlig abgeht, ist so etwas wie Lebendigkeit. Allen macht eher den Eindruck, als arbeite er zielstrebig auf seine eigene Musealisierung hin. Das muss ihn nicht weiter stören, so lange seine Filme in die Kinos kommen. Bleibt abzuwarten, wie lange der Altmeister noch eine Protestbewegung mobilisieren kann.
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