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Wolf-Dieter Vogel Latin AffairsMexikos geheimes Propagandazentrum

Foto: Sophie Kirchner

Schon wieder Carmen Aristegui. Erneut wurde die mexikanische Journalistin Ziel von Angriffen ihrer Gegner*innen. Nachdem die Betreiberin des investigativen Nachrichtenportals Ariste­gui Noticias über Jahre hinweg vom ehemaligen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador öffentlich diskreditiert wurde, stellte sich nun heraus: Auch der Televisa-Konzern hat jahrelang gegen die Journalistin und ihr Team agiert. Das größte Medienunternehmen Lateinamerikas verbreitete von 2018 bis 2024 gezielt Fake News, um Aristegui und anderen Personen des öffentlichen Lebens zu schaden.

Eine eigens dafür geschaffene Abteilung namens Palomar manipulierte Videos, erfand Chats und entwarf Verleumdungskampagnen. Aus einem geheimen Operationszentrum heraus erfand die Gruppe falsche Vorwürfe wegen Kindesmissbrauchs, diffamierte Unternehmer wie den Milliardär Carlos Slim und unterstützte den Richter Arturo Zaldívar bei der Wahl zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofs. Mit dabei die auf digitale Manipulation spezialisierte Firma Metrics.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Palomar der Journalistin Aristegui, weil die Medienschaffende immer wieder fragwürdige Machenschaften des Konzerns offenlegte. So deckte ihr Team auf, dass eine von Televisa inszenierte vermeintliche Überlebende eines Erdbebens in Mexiko-Stadt nie existierte, sondern frei erfunden war.

Die 12-Jährige, die Rettungskräfte angeblich in den Ruinen einer Schule gefunden hätten, sollte lediglich für Quote sorgen: „Frida was the story.“ Auch den Televisa-Vorwurf, der Sohn eines bekannten Juristen habe Kinder vergewaltigt, entlarvte Aristegui als Lüge. Insgesamt erscheint der Name der Journalistin in 400 der geleakten Dokumente.

„Televisa-Leaks“, wie die Veröffentlichung des klandestinen Projekts genannt wird, ist ebenso den Recherchen der Jour­na­lis­t*in­nen um Aristegui zu verdanken. Und der Hilfe des Schauspielers Germán Gómez García, der selbst jahrelang maßgeblich bei Palomar gearbeitet hat. Er wandte sich an das Nachrichtenportal und berichtete von den Fake News des Konzerns. Durch ihn gelangten fünf Tera­byte Daten in die Hände von Aristegui, über deren Inhalt das Team nun seit Ende April in seiner täglichen Radio- und Onlinesendung berichtet.

Fünf Terabyte – das ist fast doppelt so viel Material wie bei den Panama-Papers geleakt wurde. Auf Facebook hatten getarnte Quellen 2,4 Millionen Fans, auf X beziehungsweise Twitter 4,7 Millionen Follower, die für Trending Topics sorgen sollte. Mit dieser gezielten Einflussnahme waren den Angaben von Metrics zufolge 500 „vermenschlichte“ und 300 „inkubierte Accounts“ beschäftigt.

Der Angriff mag im Vergleich zu russischen Chatbots und Propagandaseiten geringfügig erscheinen, in Mexiko hat er jedoch den gefährlichen Einfluss des Televisa-Konzerns deutlich gemacht. Palomar ließ sich nicht von einer Ideologie oder Politik leiten und vertrat konsequent die eigenen Interessen.

Manche wichtige Po­li­ti­ke­r*in­nen der Regierungspartei Morena wurden gepusht, andere gedisst. So agierte das geheime Propagandazentrum einerseits gegen López Obrador und seine Nachfolgerin Claudia Sheinbaum, zugleich unterstützte es mit dem Richter Zaldívar einen den beiden nahestehenden Juristen, der heute die Arbeit im Kabinett der Präsidentin koordiniert.

Während Zaldívars Amtszeit als Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs hat der Palomar-Partner Metrics von dem Gremium Aufträge im Wert von über 2,1 Millionen Euro erhalten. Auch das könnte ein Grund dafür sein, dass sich sowohl Sheinbaum als auch die zuständigen Regierungs- und Sicherheitsbehörden bislang in Sachen Televisa Leaks auffällig zurückhalten.

Dabei könnte die Macht der Chatbots und „vermenschlichten Accounts“ auch sie eines Tages erheblich gefährden. Das Schweigen lässt jedenfalls befürchten, dass die in Mexiko so alltägliche Korruption und Straflosigkeit auch in der digitalen Welt den Sieg davonträgt.

Der Autor ist Journalist in Lateinamerika.

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