■ Wole Soyinka, nigerianischer Literaturnobelpreisträger, über die Militärdiktatur und die Opposition in seinem Land: Zustände wie einst in Südafrika
Über Monate hinweg verweigerten die Behörden Nigerias Wole Soyinka, ihrem wohl prominentesten Staatsbürger, die Ausreise. Vor zehn Tagen schließlich gelang dem Schriftsteller, der 1986 den Literaturnobelpreis erhalten hatte, die Flucht ins französische Exil.
taz: In Nigeria gibt es eine scharfe Repression. Was können Sie zur Lage der Opposition in Ihrem Land sagen?
Wole Soyinka: Nigeria hat in den letzten sechs Monaten ein Ausmaß und eine Art der Unterdrückung erfahren, wie es sie in den ganzen 34 Jahren seiner Unabhängigkeit niemals gekannt hat. Die Opposition hat sich in falscher Sicherheit gewogen, weil niemand sich einen derartigen Rückfall in die primitivste Form der Diktatur vorstellen konnte. Niemand konnte vorhersehen, daß die Unterdrückung in Nigeria im Jahr 1994 Formen annehmen würde, die den Vergleich mit der überwundenen Apartheid in Südafrika zulassen. Da ist beispielsweise das von den Machthabern immer öfter benutzte Verfahren, eine Art Bann über einzelne Personen auszusprechen. Die Betroffenen werden in ihrer Bewegungsfreiheit und in ihren Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt. Sie sind ständigen Schikanen ausgesetzt, ohne daß ihnen jemals eine Begründung für diese Maßnahmen genannt würde. Es fand auch eine „Nacht der langen Messer“ gegen die angesehensten Zeitungen und Sender statt. Über die Hälfte wurden mit Publikations- und Sendeverbot belegt. Niemand hat sich vorstellen können, daß es, wie vor Jahren im rassistischen Südafrika, in Nigeria ein Gesetz geben könne, nach dem man mißliebige Personen für 90 Tage ohne Einspruchsmöglichkeit verhaften und diese Frist auch noch beliebig verlängern kann. Das alles stellt eine erhebliche Verschärfung gegenüber den Verhältnissen dar, wie sie noch unter der Babangida-Diktatur herrschten. Ich selbst bin wie die Vertreter aller anderen Oppositionsgruppen auch von dieser alptraumartigen Entwicklung überrascht worden. Wir waren gezwungen, unsere Strategien der veränderten Situation anzupassen. Viele der führenden Vertreter des Widerstands sind exiliert. Einige sind in den Untergrund gegangen, wo sie von der Polizei gejagt werden. Selbst Personen, die in keinerlei Zusammenhang mit der Oppositionsbewegung stehen, werden verhaftet oder verschwinden spurlos. Was nun wie das Fehlen eines organisierten politischen Widerstands aussieht, ist eine Phase des Rückzugs und der Neuformierung der Regimegegner.
Wissen Sie etwas über die Lage des inhaftierten gewählten Präsidenten Moshood Abiola?
Der südafrikanische Präsident Nelson Mandela hat sich in einem persönlichen Brief für die Freilassung von Abiola eingesetzt und Abacha hat dieses Ansinnen wütend zurückgewiesen. Wenn selbst Interventionen aus dem eigenen afrikanischen Lager in dieser Weise ignoriert werden, kann man sich leicht die Wirkung von europäischen oder amerikanischen Vermittlungsversuchen vorstellen. Es gab bereits eine Reihe von Vereinbarungen mit der Regierung, die eine Freilassung Abiolas vorsahen. Nichts davon ist eingehalten worden. Verschiedene Gerichte haben seine sofortige Entlassung angeordnet. Abacha hat schließlich den obersten Gerichtshof mobilisiert. Der Gesundheitszustand Abiolas ist schlecht. Nach seiner Verhaftung wurde er tagelang in einem geschlossenen Gefangenenwagen ohne Sitze durchs Land gefahren. Bei einem gewalttätigen Übergriff verletzte ihn ein Polizist an der Wirbelsäule. Abiola hat heute große Schwierigkeiten beim Gehen. Da er unter extremem Bluthochdruck leidet, besteht unter den Haftbedingungen zudem die Gefahr eines Gehirnschlags. Dennoch weigert sich Abiola, auf die Präsidentschaft zu verzichten, um seine Freilassung zu erreichen.
Während des Generalstreiks im August 1993 haben Sie von London aus zu Sanktionen gegen die nigerianischen Machthaber aufgerufen. In der Zwischenzeit haben etwa die USA die militärische Zusammenarbeit eingestellt und leisten nur noch humanitäre Hilfe. Trotz allem scheint sich das Regime aber konsolidiert zu haben. Wie weit sollte der Westen mit seinem Druck gehen?
So düster die Lage in Nigeria auch ist, wir haben dennoch bisher nicht den Zustand von Ruanda, Sudan, Somalia oder Liberia erreicht. Alle unsere Anstrengungen sollten darauf gerichtet sein zu verhindern, daß der Verfall der nigerianischen Gesellschaft das Ausmaß erreicht, das diese Länder heute kennzeichnet. Wir müssen Europa, aber auch den demokratischen Staaten in Afrika klarmachen, daß es notwendig ist, jetzt zu handeln. Selbst wenn alle Maßnahmen auch zunächst wirkungslos scheinen, wird sich schließlich durch deren Häufung doch so etwas wie eine Wirkung einstellen. Ich wiederhole also meinen Aufruf nach Sanktionen aller nur möglichen Art gegen die gegenwärtige nigerianische Regierung. Auf die Feststellung, daß Sanktionen nur das Leiden der Schwächsten vergrößern würden, hat in einer vergleichbaren Lage bereits das südafrikanische Volk geantwortet. Es stellte damals fest, daß es durch das Apartheid-Regime ohnehin den absoluten Tiefpunkt menschlicher Verelendung erreicht hatte. Ich fordere, alle offiziellen und inoffiziellen Guthaben Nigerias auf ausländischen Banken einzufrieren und das nigerianische Rohöl zu boykottieren. Jede Form des Kulturaustauschs, alle Sportbegegnungen sollten eingestellt werden.
Inwieweit ist das Scheitern des Demokratisierungsprozesses in Nigeria symptomatisch für ganz Schwarzafrika?
Dieses Scheitern ist mehr als ein bloßes Symptom, es ist eine Katastrophe für den ganzen Kontinent. Aus geschichtlichen Gründen, wegen seiner Größe und aufgrund des außerordentlich hohen Ausbildungsstandes seiner Bürger wurde Nigeria in Afrika immer als Vorbild und mögliche Führungsmacht angesehen. Daß dort eine Herrschaft errichtet werden konnte, deren primitive Brutalität kaum zu übertreffen ist, muß verheerende Folgen auch für die anderen afrikanischen Staaten haben. Der lächerliche Staatsstreich in Gambia kann als erster Versuch einer Nachahmung gesehen werden. Und natürlich hat Nigeria als erster Staat die Putschisten in Gambia anerkannt.
Die Herausbildung von Nationalstaaten ist in Afrika gescheitert. Könnten eine Föderalisierung des Kontinents und der Zusammenschluß von Wirtschaftsregionen die Situation entspannen?
Föderale Strukturen könnten einen beträchtlichen Teil der existierenden Spannungen beseitigen. Zum einen wäre dem mörderischen Machtringen in den Zentren der Antrieb genommen, zum anderen bekämen die Regionen die Freiheit, sich den eigenen Gegebenheiten entsprechend zu entwickeln. Bisher ist es so, daß eine Zentralregion die Entwicklung der anderen Gebiete verhindert, weil sich im Zentrum eine Mentalität der Ämterpatronage und des Klientelismus einnistet. Eine schmale Elite nutzt dort alle Ressourcen für die eigene Bereicherung zum Nachteil der allgemeinen Entwicklung des Landes.
Was halten Sie von Stimmen, die in der Demokratie ein ausschließlich westliches Gesellschaftsmodell sehen wollen, das man nicht in andere Kulturräume übertragen könne?
Man könnte genausogut sagen, daß die Sklavenhaltung in manchen Gesellschaften zum Kulturgut zähle oder daß das Streben nach gesellschaftlicher Gleichheit von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse abhängig sei. Alle Menschen haben ein tief verwurzeltes Bedürfnis, den Wert der eigenen Persönlichkeit anerkannt zu sehen. Und wenn man sie dieses Bedürfnis ausleben läßt, gibt es kaum Unterschiede in den politischen Reaktionsweisen auch zwischen weit entfernten Kulturen.
Was können wir den Stimmen entgegnen, die behaupten, ein Mehrparteiensystem führe notwendig zu ethnischen Konflikten?
Wir wissen, wohin die Einheitsparteien in der Vergangenheit in Ländern wie Kenia geführt haben. Malawi wurde durch ein Einparteiensystem zugrunde gerichtet, wurde und bildet heute politisch und wirtschaftlich das Schlußlicht des ganzen Kontinents. Das Einparteiensystem hat zum Auseinanderfallen zahlreicher Staaten geführt. Ich weiß nicht, ob der Sudan ein Ein- oder ein Keinparteiensystem besitzt, fest steht, daß es nicht funktioniert und einen bewaffneten Konflikt provoziert hat, der zu den ältesten ganz Afrikas zählt.
Wie kann man die Oligarchien daran hindern, Stammes- und Religionskonflikte für den Kampf um die Macht zu instrumentalisieren, wie das in Ruanda und Burundi versucht wurde?
Diesen Versuchen muß sich eine Massenbewegung entgegenstellen. Es müssen Parteien gegründet werden, die verschiedene Religionen und Stämme zusammenführen. Verschiedentlich ist das auch gelungen. Es gibt aber immer wieder ebenso geschickte wie unpatriotische Seilschaften, die, wenn sie verzweifelt sind und in Gefahr stehen, die Macht zu verlieren, auf atavistische Vorurteile zurückgreifen und eine Ethnie gegen die andere aufhetzen. Interview: Maria Zagar,
Stefan Fuchs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen