Wohnungslos in Berlin : Wo sollen wir schlafen?
Ruth hat einen Job und ihren Freundeskreis in Berlin – aber plötzlich keine Wohnung mehr. Was tun?
Von RUTH FUENTES
taz FUTURZWEI, 18.08.23 | Irgendwie hatte ich nie daran gedacht, dass es auch mich treffen könnte: wohnungslos sein in Berlin. Es ist Freitagabend. Arsen und ich – bis vor wenigen Stunden hatten wir uns noch zwei Zimmer in Kreuzberg geteilt – sitzen zusammen beim Döner-Laden, essen Linsensuppe. Neben uns zwei Rucksäcke. Es fängt an zu nieseln.
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
„Vielleicht ist das mit dem Zelten nicht die beste Idee“, sage ich.
„Die Hostels sind alle ausgebucht wegen diesem blöden Rammstein-Konzert“, sagt Arsen.
„Vielleicht sollten wir einfach durchmachen?“, sage ich. „Oder im Büro schlafen?“
Ich muss lachen, obwohl es gar nichts zu lachen gibt. Letztens hatte mir ein Bekannter, der in Berlin auf dem Bau arbeitet, erzählt: alles was sie bauten, seien Büros. „Für so Start-Up Leute, die dann in gläsernen Einzelzellen arbeiten, in denen sie ständig überwacht werden können, damit sie ja nicht zwischendurch auf Pornhub gehen“, hatte er gemeint. Und ich hatte überlegt, wo diese ganzen Büromenschen denn schlafen sollen, wenn die auch noch alle nach Berlin kommen.
„Im 5. Stock soll's sogar ein Schlafsofa geben“, sagt Arsen und meint das Büro.
Von Zwischenmiete zu Zwischenmiete
Heute ging unsere Zwischenmiete zu Ende und die neue Zwischenmiete können wir erst in drei Tage beziehen. So geht das schon seit mehreren Monaten. Von Zwischenmiete zu Zwischenmiete. Und obwohl das jetzt keine Neuigkeit mit dem Berliner Wohnungsmarkt ist, denke ich, haben wir das wohl erst in diesem Moment richtig begriffen. Jetzt, wo wir selbst vom Wohnungsmarkt mal so richtig in die Fresse bekommen haben. Klar kannten wir die Geschichten von Leuten, die monatelang von Couch zu Couch gelebt haben. Oder die irgendwann resigniert nach Spandau (!) gezogen sind. Aber wir? Uns würde doch sowas nicht treffen. Wir haben Connections, wir können die Miete immer zahlen, wir sind gute Bürger, wir sind „deutsch“.
„Schau mal“, sagt Arsen und hält mir sein Handy hin. „Hier gibt's ne Wohnung am Mariannenplatz für nur 1.200 Euro, 20 Quadratmeter. Musst nur Schufa vorweisen und deine letzten sechs Monatsmieten.“ Er lacht hämisch. Und ich denke drüber nach, wie es wäre, jetzt zum Mariannenplatz rüber zu laufen, die Wohnung ausfindig zu machen und Molotow-Cocktails durchs Fenster zu werfen. Um den Wert wieder zu senken. Solche Gedanken gehen mir tatsächlich in letzter Zeit durch den Kopf.
So wie in der geleckten, sanierten Wohnung in Charlottenburg, die wir in einem Anflug von Verzweiflung besichtigt hatten. Frisch aus der Waschstraße kommende SUVs hatten da in der Tiefgarage gestanden. Ich hatte mich schon die Reifen aufschlitzen sehen und zu Arsen gesagt: „Hier wohnen wir lieber nicht.“ Mir reicht eine alte, unsanierte Wohnung mit Holzdielen und Gasherd. Aber auch die ist schwieriger zu finden als gedacht.
Arsen und ich waren vor einigen Jahren unabhängig voneinander nach Berlin gezogen und hatten jeder sofort eine Wohnung gefunden. Zufall, wie ich heute weiß. Ja, ich wusste schon damals, das mit der Wohnsituation sei nicht so einfach. Aber ich kam auch aus Heidelberg und da war das auch schon so.
Mieterbund, Demos, Hausbesetzung?
In Berlin war ich dann sogar dem Mieterbund beigetreten, hatte beim Volksentscheid Deutsche Wohnen Enteignen natürlich mit „Ja“ gestimmt und einmal war ich sogar auf einer Demo gegen Verdrängung von Mietern. Ich hatte von den verschiedenen Hausbesetzer-Zeiten gelesen und gehört und mir gedacht, dass ich da selbstverständlich auch mit dabei gewesen wäre. Bei jedem leerstehenden Gebäude kam mir der Gedanke: Wenn es eine Bewegung gäbe, dann könnten wir jetzt hier rein. Aber allein? Außerdem bin ich ja nicht in Not. Ist ja nicht so schlimm.
Als ich Arsen kennengelernt hatte, hatte sein Vermieter gerade Eigenbedarf angekündigt. Und ich war in meiner unüberlegten Verliebtheit einfach bei meinem damaligen Freund ausgezogen. Wird sich schon was finden, dachte ich damals.
„Mensch, Ruth, du hättest ihn raus werfen sollen“, sagt meine Tante aus Spanien am Telefon. Danke für den Tipp, denke ich mir und frage in halblustigem Ton, ob sie nicht Interesse hätte, in eine Eigentumswohnung in Kreuzberg zu investieren. „Mit welchem Geld denn?“, lacht sie. Ah, da war ja noch was: das Geld …
Also weitersuchen auf dem „freien“ Markt. Immer mehr die Zentrums-Ansprüche runter setzen; irgendwann fahren wir sogar für eine Besichtigung nach Köpenick raus, wo uns selbst der Vermieter davon abrät, dorthin zu ziehen. Wir lernen einen Typen kennen, der seine Wohnung leer stehen hat, aber nicht abgeben möchte, „damit der Mietspiegel nicht steigt“. Wir lassen uns von einem Makler durch eine Wohnung führen, die – wie wir dann vom Mieter erfahren – gar nicht zu vermieten ist. Und landen irgendwann auf der Webseite einer anthroposophischen Hausverwaltung ... bitte nicht. Beim Spazieren ertappe ich mich dabei, wie ich in Wohnungen reinschaue, ob sie wirklich bewohnt sind.
Arsen und ich zögern jetzt die Entscheidung mit dem im Büro übernachten erstmal hinaus und gehen erstmal zu Bernd rüber. Bernd ist gebürtiger Kreuzberger, betreibt einen kleinen Plattenladen, nennt sich selbst „Kiezianer“ und teilt gerne seine Drogen. Und wenn nicht er von einer leeren Wohnung weiß, wer dann?
„So schlimm wie jetzt war's noch nie“
„Tut mir leid, Leute. Ich kenn' ja echt viele Menschen hier, aber so schlimm wie jetzt war's noch nie“, sagt er und zieht an seiner Zigarette. Eigentlich hätte er in den letzten Jahren immer irgendeine Wohnung vermitteln können. Über den ersten Wohnungsmarkt könnten wir es sowieso vergessen.
Er erzählt von Bekannten, die Schmiergelder bei der Besichtigung bezahlt hätten oder ganze Jahresmieten im Voraus. „Einmal haben wir einen Kontoauszug gefälscht. Kann ich mit euch auch gern machen, kein Problem. Aber davor brauchen wir überhaupt ein Angebot … Das geht so nicht weiter, ihr könnt nicht jeden Monat woanders leben, ihr müsst auch ankommen …“
„Ach nee“, denke ich, als wir aus dem Plattenladen treten und immer noch nicht wissen, wo wir heute schlafen werden. Wäre nicht jetzt der Moment, sich zu organisieren? Auf die Straße zu gehen? Einen Mietpreisdeckel zu fordern und mehr Rechte für Mieter und ein Verbot für Spekulanten?
Arsens Handy klingelt. Ein Freund von ihm hätte da eine Wohnung für uns, für ein dreiviertel Jahr. Im Ring. Bezahlbar, weil alter Mietvertrag. Ich merke, wie meine Träume von der Mieter-Revolution verschwinden. Ich bin einfach nur erleichtert, dass wir etwas gefunden haben. Und erwische mich bei dem Gedanken, wie beruhigend es ist, weitermachen zu können wie vor der Suche. Wahrscheinlich werde ich auf die ein oder andere Demo gehen, mich drüber aufregen, dass Deutsche Wohnen immer noch nicht vergesellschaftet wurde und wohnungslosen Freunde bei mir Unterkunft bieten.
Aber am Ende bleibt jeder mit dem Problem allein.
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.