Wohltätigkeit statt Rechtsschuld

„Deutsche Bahn“ und „Entschädigungen“ – wer sich mit diesen Begriffen dem Thema per Onlinesuche nähert, landet zunächst bei einem Bahnformular für Verspätungsfälle und Fahrgastrechte. Weniger kulant ist das Unternehmen gegenüber Holocaustopfern, die von der Reichsbahn einst deportiert wurden, und ihren Nachkommen: Eine individuelle Kompensation lehnt man bislang strikt ab. Die Argumentation ist dabei stets die gleiche: Die Deutsche Bahn pocht darauf, sie sei juristisch nicht belangbar, weil sie offiziell keine Rechtsnachfolgerin der Reichsbahn ist.

Letztere verdiente mit den Deportationen nach heutigem Wert etwa 445 Millionen Euro. Dieser Berechnung zugrunde gelegt werden mindestens 3 Millionen Deportationsopfer und ein Fahrpreis von 4 Pfennig pro deportiertem Erwachsenen und Kilometer. Bei großen Transporten waren es 2 Pfennig.

Die Schlüsselrolle der Reichsbahn bei der industriellen Ermordung der europäischen Juden hat die DB längst anerkannt. Ihre Bereitschaft zur Kompensation beschränkt sich dennoch auf freiwillige Leistungen, wie etwa eine nicht genau bekannte Beteiligung in Millionenhöhe an der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ), die 2000 den halb- staatlich, halb von Unternehmen finanzierten Zwangsarbeiterfonds ins Leben rief. Der Großteil von dessen Auszahlungen ging an osteuropäische Zwangsarbeiter.

In den letzten Jahren versuchten auch polnische KZ-Überlebende und die jüdische Gemeinde von Thessaloniki, aus der etwa 48.000 Mitglieder deportiert wurden, die Deutsche Bahn rechtlich zu belangen. Doch wenn die DB zahlt, tut sie das, nach eigener Darstellung, weil sie zu ihrer „historischen Verantwortung“ stehe. Rechtlich sieht sie sich weiterhin als nicht zuständig an.

Hans-Rüdiger Minow, Sprecher des erinne­rungspolitischen Vereins Zug der Erinnerung, kommentiert: „Tatsache ist, dass alle Versuche, die Deutsche Bahn AG in die Verantwortung zu nehmen, bislang vergeblich gewesen sind. Aber die DB AG steht im Alleineigentum der Bundesrepublik Deutschland und damit in der Nachfolge der Deutschen Reichsbahn. Der juristischen Verantwortung für die Mordbeihilfe muss sich der Alleineigentümer, die BRD, stellen.“

In Bezug auf die Bemühungen Salo Mullers folgert Minow, dass diese Verantwortung auch ins Bundeskanzleramt führe: „Das ist der Weg, den der Anwalt, Axel Hagedorn, zu Recht geht. Die niederländischen Opfer und ihre Erben stellen berechtigte Forderungen an den deutschen Staat. Herr Muller bettelt nicht. Es geht um eine Rechtsschuld.“ Tobias Müller