: Wohlige Verzweiflung
■ Deutschrock und Melancholie: Das Kammer-Musical „Songs from the Attic“ im Theater in der Washingtonallee
Horn im Regen. Das Nass peitscht Richtung Washingtonallee, wo mitten im Dunkel eine Werbetafel leuchtet: Theaterpremiere von Songs from the Attic. Ein bisschen Glimmer, ein bisschen Glamour und ein Piano dominieren den niedrigen Kellerraum der Theaterbar.
„Was ist schon das Wetter“, schmettert Angelika Landwehr die Wehklage eines Smalltalkers ab. Sie ist der Schutzengel dieses Etablissements, das sie seit der Renovierung nun schon vier Monate lang allein betreibt. Und auch eine Etage höher im Theaterraum ist sie als Schutzengel eingesprungen, denn die dafür vorgesehene Schauspielerin sitzt als „gefallener Engel“ mit Halskrause im Publikum – ein Arbeitsunfall. Vierzig Menschen passen auf diesen Dachboden, um den es in dem Musical geht. Dahin zieht sich Justin, ein zorniger junger Mann zurück. Verlassen von seiner Freundin und dem Rest der Welt, geht er mit sich ins Gericht. Obwohl die Verzweiflung gelegentlich in wohliges Selbstmitleid abgleitet, hat er wohl auch ein ganzes Stück Vergangenheit zu bewältigen.
Welche Rolle Stewart, der Dachbodenbesitzer und sogenannte „väterliche“ Freund, dabei spielt, wird erst wesentlich später ein bißchen klarer. Die Freundin, die Justin den Laufpass gab, schwankt zwischen Abgeklärtheit und hingebungsvoller Liebe. Erfrischend dazwischen der in gelb gehüllte Schutzengel, der dem jungen Poeten an der Kehrtwende seines Lebens mal kumpelhaft, mal lasziv zur Seite steht. Und noch ein weiteres Mal ist Angelika Landwehr Schutzengel: nämlich der vom Komponisten Dirk Mehnert. Sie entdeckte den Linguistik- und Gebärdensprachestudenten, der bei seinem ersten Musical selbst beherzt in die Tasten greift.
Lieder zwischen Deutschrock und Melancholie, die in der Gesangsdarbietung noch ein bißchen holpern. Eine reibungslose „Stella“-Glätte ist sicher auch nicht das angestrebte Ziel der Gruppe, doch warum zum Beispiel alle englische Namen haben, obgleich sie doch Deutsch sprechen und singen, und warum Peter Per als väterlicher Freund merkwürdige rote Theaterschuhe trägt, sind nur einige der Fragen, die offen bleiben an diesem Abend auf dem Horner Dachboden. Stefanie Behrens
bis zum 12. 3. 2000, mittwochs bis sonntags, 20 Uhr , Theater in der Washingtonallee
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