Wochenübersicht: Bühne : Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
Dass Theater ein Instrument der Erfahrung sein kann, ist in Zeiten allgemeiner Spiralblockerregung ja etwas aus dem Blickfeld geraten. Nehmen wir den lettischen Regisseur Alvis Hermanis, der für sein jüngstes Theaterprojekt seine Schauspieler auf die Straßen Rigas geschickt hat, um dort Töne, Geschichten und Lebensfetzen von ganz normalen Menschen einzusammeln. Die daraus entstandenen Monologe und Performances hat Hermanis zu „Lettische Geschichten“ über Soldaten, Bus- und Taxifahrer, Kinderheimerzieherinnen oder eine Stripperin aneinander gereiht, die Freitag und Samstag in allen HAU-Spielstätten zu Gast sind: und zwar im lettischen bzw. russischen Original mit Simultanübersetzung. „Telling Time“ ist ein neues Theaterformat, mit dem die Sophiensæle neue Wege durch den Dschungel zeitgenössischer Repräsentationsformen zeigen wollen. Den Anfang machen die Brightoner Performanceformation Öone Twin mit ihrer ersten Theaterarbeit „Alice Bell“ und der bulgarische Videokünstler und Regisseur Kassimir Terziev mit „Battles of Troy“, wo er sich mit Arbeitsweisen der globalisierten Filmindustrie befasst und zu diesem Zweck 300 bulgarische Statisten interviewt hat, die bei Wolfgang Petersens Film „Troja“ mitgewirkt haben. Am Theater in der Parkaue inszeniert Hausherr Kay Wuschek Guy Krnetas Kinderstück „Ursel“ über ein Mädchen, das um die Liebe seiner Eltern kämpft, die nur auf einen längst verstorbenen älteren Bruder fixiert sind. Ein ganz besonderes Theaterprojekt ist ab Sonntag in der Tribüne am Ernst-Reuter-Platz zu sehen, wo die Schauspielerin und Autorin Margaretha Riefenthaler im Auftrag der Kontakt- und Beratungsstelle für junge Menschen in Not mit Berliner Straßenkindern Szenen nach Shakespeares „Romeo und Julia“ vor dem eigenen sozialen Lebenshintergrund dieser Jugendlichen erarbeitet hat.