: Wo, wo, wo is a destiny?
In diesem Jahr überraschte das Niveau der vorgestellten Lyrikdebüts in der Literaturwerkstatt. Es war erstaunlich hoch. So hoch, dass man sich sogar ein wenig die richtig schlechten Gedichte in die Kulturbrauerei zurückwünschte
Terminlich perfekt getimt, nämlich genau einen Tag vor dem „Wiener Opernball“, fand am Mittwochabend in der gut gefüllten Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei ein literarischer „Debütantenball“ statt. Vier Lyriker – zwei aus Deutschland, zwei aus Österreich – lasen aus ihren Gedichtbänden. Anders als in den vergangenen Jahren traf eine Jury erstmals eine Vorselektion. Der Schritt ist nachvollziehbar, denn schon beim letzten Mal waren zwei Abende notwendig gewesen, um alle neun Autoren unterzubringen.
Da 2007 mehr als zwanzig Lyrikdebüts erschienen sind, eine Rekordzahl, wie Thomas Wohlfahrt, der Leiter der Literaturwerkstatt, betonte, hätte es diesmal wohl sogar dreier Termine bedurft – wer, außer ein paar Semi-Verrückten, würde sich so etwas antun? In ihrer Vorauswahl hatten sich die Lyrikerin Sabine Scho, der Lyrikline-Projektleiter Heiko Strunk und der FAZ-Literaturredakteur Richard Kämmerlings auf drei Autorinnen und einen Autor geeinigt: Ann Cotten, Nora Bossong, Beatrix Neiss und Christian Schloyer.
Den Anfang machte Nora Bossong, die mit klarer Stimme Gedichte vortrug, von denen viele ihrem bei zu Klampen! erschienenen Lyrikband „Reglose Jagd“ entstammten. Oft beschreibt sie darin alltägliche Situationen, die von etwas Abgründigem überlagert werden und deshalb Gefahr laufen, in einen namenlosen Zustand der Bedrohung umzukippen. In „Ganymed“ heißt es: „Aus einem rosa Taxi steigt / die schönste Frau, und niemand von uns / traut sich, sie zu stehlen. Ihr Absatz glänzt / im Flutlicht der Kapelle und neben ihren Zehen liegt / ein Vögelchen mit aufgeplatztem Schädel“.
Nicht nur das Vögelchen, sondern auch Hasen, Marder, Schwäne oder unidentifizierbare Kadaver bevölkern die Gedichte von Nora Bossong, weshalb man sich bisweilen an das Baudelaire-Gedicht „Ein Aas“ aus den „Fleurs du Mal“ erinnert fühlt: „Gedenke des Dinges, das wir sahen, meine Seele / an jenem Sommermorgen, der so lieblich war“. Idylle und Schrecken, einander gegenübergestellt. Während ihres Auftritts blickte Nora Bossong immer wieder ins Publikum, als wollte sie auf diese Weise bestimmte Passagen nonverbal unterstreichen.
Einen humoristischen Kontrapunkt zu den wundervoll düsteren Gedichten Bossongs setzte Beatrix Neiss. Mit den Worten „Schön, in Berlin zu sein, ich bin aus Österreich“ trat sie ans Mikrofon und erklärte in breitem Wiener Akzent, dass man sich unter ihren Gedichten „so etwas wie Kaffeehausgespräche“ vorzustellen habe. Was folgte, war ein absurdes Sprachgemisch – „wo, wo, wo is a destiny / […] there is love in the air wo? wo?“ – aus Österreichisch und Englisch mit österreichischem Akzent.
Zwar hatte der Vortrag viele lustige Momente, vor allem Wortneuschöpfungen wie „Schwammerlleidenschaft“ waren schlichtweg grandios. Doch gleichzeitig erinnerte Beatrix Neiss ein wenig an eine Dichterin, wie sie in einer öffentlich-rechtlichen Fernsehproduktion vorkommen könnte: so schräg und überdreht, dass ihr Auftritt schon wieder klischeehaft wirkte. Dasselbe traf leider auch auf ihre Gedichte zu.
Bei Christian Schloyer stellte sich die Frage, wie er das von Kursivschreibungen und Klammern geprägte Druckbild seiner im Gedichtband „spiel. ur. meere“ erschienenen Texte live umzusetzen gedachte. Der Stil des „Leonce und Lena“-Preisträgers ist hochgradig assoziativ, weshalb sich seine Gedichte mitunter recht mühsam lesen. Verblüffenderweise rückte der Vortrag Schloyers Lyrik in ein völlig neues Licht und man verstand plötzlich vieles, was vorher eher kryptisch gewesen war.
Gegen halb zehn betrat schließlich Ann Cotten die Bühne. Auffällig an den Gedichten der 1982 in Iowa geborenen und in Wien aufgewachsenen Autorin ist jene besondere Melange aus einerseits antiquierten Stilmitteln wie der Inversion und einem hypermodernen, von Fremd- und Fachwörtern durchzogenen Syntax-Kauderwelsch. Cottens Gedichte sind Klangkörper, deren Rhythmus sich meist stockend, synkopiert, immer irgendwie verschoben artikuliert. Dabei sind viele Texte wunderbar humorvoll. Wer kommt schon auf die Idee, „inkommensurabel“ auf „inkommensurabel“ zu reimen? Das ansonsten eher zurückhaltende Publikum war begeistert.
Nach anderthalb Stunden war Schluss. Zwar waren die Gedichte im Schnitt auf einem wesentlich höheren Niveau als in den letzten Jahren, doch irgendwie vermisste man auch ein wenig die qualitativen Schwankungen aus der Vergangenheit. Schließlich gibt es – die nötige Distanz vorausgesetzt – kaum etwas Lustigeres als ein richtig schlechtes Gedicht. ANDREAS RESCH