: Wo war die Luftwaffe?
■ Eine Ausstellung des Kreuzberg-Museums beschäftigt sich mit der Zerstörung des "Exportviertels" rund um die Ritterstraße im Februar 1945 durch die Alliierten
An der Decke hängt eine amerikanische Versorgungsbombe. Die Flugblätter, die mit dieser Bombe abgeworfen wurden, liegen auf dem Fußboden. „Wo war die Luftwaffe? Fragt Göring! Fragt Hitler!“ ist auf ihnen zu lesen. Infotafeln werden von Schutthaufen gehalten. Auf einem der Trümmerbrocken liegt ein Emailleschild „Hausnummer 30“. Zwischen runden Caféhaustischen steht ein Zeitungsständer, an dem neben französischer, amerikanischer und britischer Presse auch der Völkische Beobachter hängt. Erscheinungsdatum: 4. Februar 1945. Der Tag nach dem schweren Luftangriff der Alliierten auf Berlin.
Mit einer ungewöhnlichen Ausstellung erinnert das Kreuzberg- Museum an die Zerstörung des „Exportviertels“ rund um die Ritterstraße am 3. Februar 1945. Der 50. Jahrestag der Bombardierung wird vielerorts gewürdigt. „Oft wird das so dargestellt, als ob die Alliierten zielgerichtet die unschuldige Zivilbevölkerung treffen wollten“, kritisiert Dirk Thormann, Mitarbeiter im Kreuzberg- Museum, die gängige Geschichtsschreibung. Die Initiatoren der Kreuzberger Ausstellung sind deshalb der Frage nachgegangen, warum gerade das Viertel um die Ritterstraße so stark von den Luftangriffen betroffen wurde.
Im Laufe ihrer Recherche stießen sie auf zahlreiche Hinweise, daß die Gegend um die Ritterstraße in der Nazizeit zu einem Rüstungsviertel umstrukturiert wurde. „Natürlich spielte bei der Bombardierung aber auch die unmittelbare Nähe zum Regierungsviertel und zum Zeitungsviertel eine wesentliche Rolle“, ergänzt Thormann.
Die Spurensuche der Museums- Mitarbeiter war mühselig. Aus Akten der Bauverwaltung, der Reichsbetriebskartei und aus alten Telefonbüchern sammelten sie einzelne Mosaiksteinchen, die ihre These bestärken. Allein in der unmittelbaren Umgebung der Ritterstraße befanden sich dreizehn an der Rüstungsindustrie beteiligte Betriebe und drei Lager für Zwangsarbeiter. „Zu den Besonderheiten Kreuzbergs zählt auch das Zusammenfallen von Wohnen und Arbeiten“, so Thormann. Viele Leute, die von den Luftangriffen betroffen waren, hätten in der Rüstungsindustrie gearbeitet. „Die Frage nach den sogenannten unschuldigen Opfern muß deshalb sehr sorgfältig gestellt werden“, meint Thormann.
Tonbandaufnahmen von Interviews, schriftliche Erlebnisberichte und Veranstaltungen mit Zeitzeugen sorgen dafür, daß auch die Betroffenen in der Ausstellung zu Wort kommen. Die Organisatoren hoffen, daß ihre Ausstellung ein „dynamisches Modell“ wird, daß diese also durch die Erinnerungen der Zeitzeugen vervollständigt wird. Bei der Eröffnungsveranstaltung sei man auf große Resonanz gestoßen, so die Organisatoren. Viele ältere Menschen hätten Fotos und Tagebücher aus der Zeit der Luftangriffe angeboten. Aber auch die Suche nach Spuren der Kreuzberger Rüstungsproduktion zeigt erste Erfolge. „Wir haben bereits Hinweise auf zwei weitere Zwangsarbeiterlager bekommen“, so einer der Projektmitarbeiter. Die nächste Veranstaltung mit Zeitzeugen findet am 16. Februar statt. Gesa Schulz
Kreuzberg-Museum, Adalbertstraße 95/96, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 14–18 Uhr.
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