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Archiv-Artikel

Wo ist in der Kirche?

Nach 13 Jahren in Deutschland wird eine vietnamesische Familie mit einem autistischen Kind abgeschoben. Grüne und Pastor werfen den Behörden den Bruch des Kirchenasyls vor

„Ich weinte stundenlang wegen des Gedankens, Deutschland – und damit mein Ein und Alles – zu verlassen“, schrieb Thu Nga in einem Fax aus ihrer neuen Heimat. Gerne hätte das Mädchen aus der 8 d des Ratsgymnasiums ihren 14. Geburtstag in Peine verbracht. Doch daraus wurde nichts. Nach 13 Jahren in Deutschland zogen 15 Beamte den rechtskräftigen Abschiebebescheid für die vietnamesische Familie Van durch. In einer dramatischen Aktion holten sie die fünfköpfige Familie mitten in der Nacht aus den Gemeinderäumen von St. Jacobi in Peine ab. Gut zwei Wochen vor Weihnachten beendeten die Behörden zum ersten Mal nach vier Jahren ein Kirchenasyl in Niedersachsen. Das behaupten jedenfalls Pastor Frank Niemann und die niedersächsischen Grünen, die das Thema gestern im Landtag zur Sprache brachten.

„Von einem Kirchenasyl kann keine Rede sein. Das waren Büroräume in einem Haus mit Wohnungen. Unser Vorgehen war richtig“, sagte Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Der Pfarrer hingegen behauptet, in dem Raum im Gemeindehaus seien auch schon Gottesdienste abgehalten worden.

In Peine sorgte der Fall für Empörung. Die Klassenkameraden von Thu Nga, die Spenden und Unterschriften für die Vans gesammelt hatten, schrieben in der Lokalzeitung, die Vietnamesin sei „eine der besten Schülerinnen“ gewesen. Ihre Klassenlehrerin sagte, bei der Abschiebung sei „seelische Gewalt als Zwangsmittel“ benutzt worden.

Schünemann wies hingegen darauf hin, dem Vater sei seit elf Jahren bekannt gewesen, dass er Deutschland verlassen muss. Der Termin der Abschiebung sei rechtzeitig mitgeteilt worden.

Zwar habe sich der autistische Sohn Minh Duc während der Flugreise unwohl gefühlt und Nasenbluten gehabt. Das sei allerdings nicht darauf zurückzuführen, dass die Vorgabe des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg nicht eingehalten worden war, den Jungen in einer Patientenkabine zu befördern, betonte Schünemann. Die Behörden hätten sich „umsichtig“ verhalten. Zudem sei der Vater „mehrfach straffällig“ geworden. Da die Familie sich nur mit staatlicher Hilfe über Wasser halten konnte, sei eine Härtefallregelung nicht in Betracht gekommen. Die Eltern hatten keine Arbeitserlaubnis, da sie nur geduldet waren.

„Kirchliche Räume sind nicht extraterritorial“, erklärte Schünemann. Es gebe keinen Rechtsanspruch auf Kirchenasyl, allerdings eine Vereinbarung, in sakralen Räumen „aus Respekt“ keine Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.

Dieses Vorgehen ist noch ein Relikt aus dem Mittelalter, als die Könige und Fürsten Kirchen als Tabuzonen betrachteten. Derzeit befinden sich drei weitere Familien mit insgesamt zwölf Personen in Niedersachsen im Kirchenasyl. Der niedersächsische Flüchtlingsrat erwägt eine Strafanzeige gegen den zuständigen Landkreis. Kai Schöneberg