: Wo ist die Hefe hin?
Eine der drängendsten Fragen unserer Zeit beantwortet der Wahrheit-Bierexperte
„Wo ist die Hefe im Hefeweizen hin? Dieses Problem erörtere ich schon länger mit einigen Bekannten. Im Hefeweizensektor muss sich etwas getan haben. Dafür gibt es Indizien: das Einschenken aus einem Guss ohne zwischenzeitliches Rollen der Flasche neben dem Glas. Es gibt keine sichtbare Hefe mehr, die sich a) in Flaschen gen Boden ablagerte und b) nach dem Rollen in das Glas offensiv einsickerte. Und Hefeweizen ist verstärkt als Fassbier erhältlich, ohne all diese Mätzchen. Das sind so die Fragen, die unsereins bewegen. Gäbe es da klitzekleine Aufklärung?“ Schreiben mir besorgte Wahrheit-Leser aus Berlin. Ich kann ihren Hefe-Ruf verstehen.
Ein Wunder überhaupt, dass eine Handvoll störrische Brauhäuser am quellbachklaren (Kristall-)Weizenbier festgehalten hatte. Nur wenige mochten es. Noch 1960 belief sich der Weizenbiergesamtausstoß aller bayerischen Brauereien auf betrübliche 439.000 Hektoliter. Erst ab Mitte der Sechzigerjahre konturierte ausgerechnet eine nichtbayerische Brauerei, die fränkische Privatbrauerei Gebrüder Maisel in Bayreuth, mit enorm geduldiger Werbeflankierung den Siegeszug des obergärigen Bierrelikts aus Bayern. Und ein verhängnisvoller Hang zum Ursprünglichen und auch zu aufgehübschter Authentizität ließ die immer „kritischer“ werdenden Verbraucher nach unfiltriertem, proteingetrübtem Weizenbier verlangen.
Das mit der Trübung, liebe Wahrheit-Leser aus Berlin, verhält sich nämlich folgendermaßen: Die Reifung erfolgt in der Flasche oder in den Lagertanks. Wobei das Flaschenbier bei der Abfüllung noch einmal eine Hefeinjektion erfährt. Oft schmunzelt man an bundesdeutschen Biertischen bei der Spekulation, diverse Produzenten legten lediglich einen Fliegenklecks Tothefe pro Flasche ein, damit der Anschein gewahrt würde. Wie gesagt, darüber wird gern und oft geschmunzelt.
Und wer schmunzelte nicht auch bei der ganz klar aus der blütenreinen Luft gegriffenen Überlegung, ob nicht das nachträgliche Hefezusetzen ein törichter und kostenaufwendiger Prozess wäre, den man sich endlich mal schenken könne, wo doch das feine Weizenbier unfiltriert für Ökos trüb genug sei. Auch ohne „feine Hefe“.
Das in den Flaschen sichtbare und so beliebte Hefesediment jedenfalls hat einen Farbton zwischen Aletebrei, Heftpflaster, Zahnbelag und Ostsenf und ist nur untergärige Hefe, die eigentlich in einem obergärig gebrauten Trunk nichts und aber auch überhaupt nichts verloren hat.
Gut möglich also, liebe Wahrheit-Leser, dass die vornehmlich in Berlin erhältlichen Marken die Kriterien Ihrer Beanstandung erfüllen mögen, und einige werden vielleicht sogar, halt nur von bösen Zungen, in die Nähe der kostenreduzierenden Ferkeleien gerückt, die ich oben kurz angerissen habe.
Die kurrente Betrübnis der Berliner Weizenbierfreunde noch zu potenzieren, veröffentlichte 2003 die Fachhochschule Münster, Fachbereich Chemieingenieurwesen, eine Studie, die in ihrer traurigen Geballtheit belegt, dass die Fuselalkohole ausgerechnet das hefebelastete Weizenbier fast durchweg in doppelter Konzentration bevölkern. Isoamylalkohol, Aktiver Amyalkohol, Isobutanol und Propanol heißen die Schmerzensbringer, die den Tag danach mit Seinsverkrümmungen schlimmster Observanz überhäufen.
Doch rasch zu den Zahlen: Durchschnittlich gute Pilsener kommen auf 60 bis 70 Milligramm Fuselalkohole pro Liter. Und was machen unsere geliebten Weizenbiere? Lesen Sie selbst! Schneider Weisse Original: 115, Chiemseer Dunkle Weisse: 126, Paulaner Hefe-Weißbier Naturtrüb: 133, Maisel’s Weisse Original: 138, Schöfferhofer Hefeweizen: 147 und, rätätätä: Huber Weisses: 160 Milligramm pro Liter. Wohingegen die oft als „Anfängerweizen“ belächelten Kristallweizenbiere durch die Bank glänzen: Erdinger Weißbier Kristallklar bietet 90 an, Franziskaner Weißbier Kristallklar 79 Milligramm pro Liter.
Könnte jetzt das eine mit dem anderen zusammenhängen? Reden Sie mit Ihren Freunden darüber. Das wäre mein vorläufiger Rat. MICHAEL RUDOLF