Wo die kleinen Lämmer wohnen

Der einzige Deich-Schäfer Bremens hält seine Herde in Burglesum: Pommersche Landschafe und Schwarzkopfschafe halten das Gras kurz. Während Deichverband und Naturschutzvereine zufrieden sind, scheinen sich einige Anwohner gestört zu fühlen

Der Schäfer: „Ich brauche keinen Hund, um sie zusammenzutreiben.“

Zwei Wochen vor Ostern kommen sie auf die Welt: kleine, flauschige, langohrige Lämmer. Auch im Bremer Umland hüpfen sie über den Deich. Seit zwei Jahren hält der einzige Deich-Schäfer Bremens, Ibrahim Tülemen, seine Herde in Burglesum.

Ihm gehören 65 Muttertiere und noch einmal so viele Jungtiere, die in diesen Wochen geboren werden. Für ihn ist es dennoch nur ein Hobby, auch wenn er täglich nach seinen Schafen sehen muss. Beim Scheren und Hüten packen seine Frau und sein Vater mit an. Der Vater hatte schon in der Türkei Schafe. Für Tülemen eine große Hilfe. „Schäfer zu sein, das kann man nicht studieren – da helfen nur Erfahrungswerte.“

Die Idee, Schafe auf dem Werderdeich an der Lesum weiden zu lassen, entstand zusammen mit dem Deichverband und dem Naturschutzverein BUND. Der Deal nutzt allen Seiten: Tülemen kann seine Schafe umsonst weiden lassen und der Deichverband muss sich in den Sommermonaten nicht um die Pflege der Grasnarbe kümmern.

Auch die Natur profitiert, so Birgit Olbrich vom BUND: „Die Schafe treten Wühlmaus-Grabungen und Schlaglöcher platt, wo sonst Planier-Maschinen des Deichverbandes ranmüssten.“ Von Ende März bis September darf die Herde deshalb auf der Innen- und Außenseite des etwa zwei Kilometer langen Deiches grasen. Aber nicht alle sind glücklich darüber: „Die Hundebesitzer sehen es nicht ein, dass sie ihre gewohnten Wege nicht mehr begehen können. Es wurden schon Zäune zerschnitten“, sagt Heinz Heumann, Jagdpächter in Bremen-Burg.

Tülemen selbst macht unterschiedliche Erfahrungen mit den Anwohnern: „Falls auf dem Deich Lämmer geboren werden, bekomme ich dort von Landwirten und Anwohnern kleine Verschläge für die ersten kritischen Tage“, erzählt Tülemann. Denn um diese Jahreszeit ist es für die neugeborenen Lämmchen draußen eigentlich noch zu kalt. In Notfällen nimmt Tülemen auch mal ein Tier mit in seine Wohnung und lässt es in einem Wäschekorb übernachten. „Ich weiß, wie ich mit meinen Schafen umgehen muss und brauche keinen Hund, um sie zusammenzutreiben.“

Die Pommerschen Landschafe und Schwarzkopfschafe weiden zwischen Wassergräben, Birken und Schilf. Störche nisten auf den umstehenden Fachwerkhäusern: Eine Szenerie wie in den Gemälden Paula Modersohn-Beckers. „Sie passen so schön zu dieser Landschaft“, schwärmt Tülemen, während er die Elektrozäune kontrolliert, die an den Stellen begrenzen, wo die Spuntwand nicht herhalten kann. „Vor einigen Jahren waren die Landschafe vom Aussterben bedroht, hier werden sie sinnvoll für den Naturschutz eingesetzt“ sagt Birgid Olbrich von der BUND-Schutzgebietsbetreuung im Werderland. Die Schafe beweiden nämlich nicht nur den Deich, sondern auch das älteste Sand-Spülfeld der Umgebung, das zu einem Biotop umgestaltet werden soll. Finanziert wird das Vorhaben von der Stadt Bremen – als Ausgleichsmaßnahme für ein bebautes Spülfeld in Niedervieland.

Bald sollen die Schafe auch für den sanften Tourismus genutzt werden: Schulklassen werden beim Scheren zusehen dürfen. „Im Mai wird es voraussichtlich so weit sein“, sagt Birgid Olbrich. Ein weiteres Projekt in Zusammenarbeit mit dem BUND ist auf einem Abschnitt der Deichwiesen geplant: Eine Fallobstwiese mit Äpfeln und Birnen soll angepflanzt werden. „Meine Schafe stört das nicht“,so Tülemen, „die fressen einfach drumherum.“ M. Burgheim