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■ Wo bleibt der Gleichheitsgrundsatz?Pharisäer-Attitüde

Der Refrain ist bekannt: Unser Rentensystem, sagen die Politiker, ist nicht mehr zu finanzieren, wir müssen alle sparen. Dabei meinen sie nicht unser Rentensystem, sondern das der anderen. Auch nicht, daß wir sparen müssen, sondern die anderen.

Die Minister und Staatssekretäre, die in Rom und in Bonn, in Paris und in Madrid mit Falten auf der Stirn vorrechnen, wie viele junge Leute heute für einen einzigen Alten malochen müssen, und die daher „Verzicht“ fordern; die Manager und Unternehmer, die jammern, daß wir mit unserem Sozialsystem am Ende sind – sie alle stehen ja selbst ohne Einschränkung jenseits dieses „unser“. Sie werden, wenn sie aus dem Parlament ausscheiden, nicht nur Anspruch auf „ihre“ Abgeordnetenpension in ansehnlicher Höhe haben, sondern auch noch Hunderttausende an Übergangsgeldern und Sonderzuwendungen einstecken, die kein normaler Arbeitnehmer jemals beanspruchen kann. Ebenso erhaben über unser Sozial- und Rentensystem sind die Manager und Unternehmer und selbst viele Gewerkschaftsbonzen, die über Sonderkassen ihrer Unternehmen oder Organisationen hohe Beträge einstreichen.

Es kann einen schon ankotzen, wenn man sieht, mit welch pharisäerhafter Attitüde die Rentenreform in ganz Europa als „unser aller“ Einschränkung verkauft wird. Als ob die Malaise nicht durch eine jahrzehntelange Mißwirtschaft gerade der Regierenden verursacht worden wäre. Da wurden die bürokratischen Apparate der gesetzlichen Rentenkassen in vielen Ländern auch deshalb so aufgebläht, weil man dort dann Tausende verdienter Parteimitglieder auf Posten hieven konnte. Und da wurden bestimmte soziale Schichten immer wieder von Einsparungen ausgenommen oder bei Förderungen besonders bevorzugt, weil man diese sonst als Wähler verlieren konnte.

Natürlich könnte das einigende Wir und Unser durchaus realisiert werden. Wie wäre es zum Beispiel damit, privat Rentenversicherte durch eine Sondersteuer eine Abgabe für die Sanierung der gesetzlichen Rentenversicherung abzuverlangen? Oder die staatlichen Übergangsgelder von Abgeordneten und Beamten zum Zwecke der Alterssicherung aller zusammenzustreichen? Aufschrei allerorten, ich höre ihn schon. Das ist doch ganz was anderes, der privat Versicherte hat doch den vollen Anspruch auf volle Leistung aus seinem privatrechtlichen Vertrag, und der Abgeordnete muß seine Risikobereitschaft belohnt bekommen, der Beamte beim vorzeitigen Ausscheiden eine Existenzgrundlage haben! Gut gebrüllt. Nur: Die Arbeitnehmer, die vom Staat in die gesetzliche Altersversorgung hineingepreßt wurden und sich daher keine private Versicherung erlauben konnten – haben sie kein Recht auf jene Leistung, die ihnen beim Arbeitsantritt einst versprochen wurde? Wo bleibt da der Grundsatz der Gleichheit? Bernardo Bernardis

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