Wladimir Kaminer in Melbourne: Im kollektiven Taumel
In Melbourne feiert man die deutsche Wiedervereinigung im Goethe-Institut. Mit Wladimir Kaminer, dem "Red Head Cocktail" und einer Menge Kopfschmerz hinterher.
"Und jetzt alle: Moskau, Moskau. Russland ist ein schönes Land. Werft die Gläser an die Wand. Hahaha!" Es gibt wohl kaum eine westdeutsche Kleinstadt, die Wladimir Kaminer nicht schon gerockt hätte mit seiner Russendisko. Was vor 15 Jahren als Buch begann, hat als Tanzveranstaltung mittlerweile Legendenstatus - für Tausende von Touristen, die sich Monat für Monat bei Kaminers Heimspielen ins Berliner Kaffee Burger drängen, und auch für das Goethe-Institut, das ihn jetzt eingeladen hatte zu einem Besuch in Australiens Ostküstenmetropole Melbourne.
Kaminers Auftritt war Teil der Berlin Dayz, einer großen Veranstaltungsreihe zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung, mit Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Filmen und dem ersten Gastspiel der Berliner Philharmoniker down under. Die Berlin Dayz kommen nicht von ungefähr: Tatsächlich sind die Australier geradezu verrückt nach der "City of Cool".
Berlin ist hip, die Namen der angesagten Bars und Trendviertel sind in aller Munde, und wenn es auch noch keine Easy-Jet-Verbindung von Australien nach Berlin gibt, so ist die deutsche Hauptstadt trotzdem ein beliebtes Reiseziel. Mindestens ein Drittel aller Jugendlichen in Melbourne war schon einmal dort, schätzt die Schriftstellerin Anna Funder, die in den 90er Jahren selbst einige Zeit in Prenzlauer Berg verbracht hat.
Kein Wunder also, dass das Melbourner Goethe-Institut bei Kaminers Lesung aus allen Nähten platzt. Die mitgebrachten Bücher - darunter "Russian Disco", das einzige, das bislang ins Englische übersetzt wurde - sind bereits vor Beginn der Veranstaltung ausverkauft. Die ebenfalls ausliegenden Schnitzelbrötchen und die Schwarzwälder Kirschtorte finden dagegen weniger Anklang. Kaminer liest auf Deutsch, denn in seiner Moskauer Schulzeit hatte er zwar viele Jahre Englischunterricht genossen, aber das, so sagt er selbst, sei "alles weg". Das Publikum lacht trotzdem über jeden seiner Witze, egal ob es um ostdeutsche Pornodarsteller geht oder um phosphoreszierende Hundescheiße im Berliner Mauerpark.
Schwer zu durchschauen: die Integrationsdebatte
Im Gespräch mit dem Leiter des Goethe-Instituts, Klaus Krischok, erklärt der Berliner Vorzeigerusse dann geduldig für einen Australier schwer zu durchschauende Sachverhalte wie die Integrationsdebatte oder den Streit über die doppelte Staatsbürgerschaft. Keine Frage: Mit seinem Charme und seinem trockenen Humor hat Kaminer den fünften Kontinent schon im ersten Anlauf erobert. Am Ende gibt es Standing Ovations vom Publikum und die Verabredung, sich schon am nächsten Abend wiederzusehen bei der Russendisko.
Die findet passenderweise in der Berlin Bar statt, einem der angesagtesten Clubs in Melbournes Downtown. Auch hier stauen sich die Menschen am Eingang: Partyvolk aus der nahe gelegenen Chinatown mischt sich mit Deutschstudenten von der Uni und einigen Touristen, die durch Zufall von der Veranstaltung erfahren haben. Einige Besucher haben sich sogar verkleidet für das Event: Die Männer standesgemäß mit blauer oder brauner "Berlin"- Trainingsjacke, die Frauen mit 70er-Jahre-Schlabberkleidern im Humana-Look. Den Vogel schießt eine junge Chinesin ab, die statt einer Handtasche eine Aldi-Tüte mit sich herumträgt.
Auch die Barmixer der Berlin Bar haben sich für diesen Abend etwas Besonderes einfallen lassen: Neben All Time Favourites wie der "Ostzone" und dem "Ampelmann" gibt es zu Kaminers Ehren den "Red Head Cocktail", eine Mischung aus Jägermeister, Pfirsichlikör und Preißelbeersaft. Das verspricht eine Menge Kopfschmerz für schlappe 10 Aussie-Dollar, umgerechnet etwa 7 Euro. Kaminer und seine Frau Olga, die ebenfalls hinter dem DJ Pult Platz genommen hat, entscheiden sich aber dann doch lieber für eine Flasche trockenen Weißwein.
Musikalisch gehen die beiden gleich in die Vollen: ukrainischer Punkrock aus den 80er Jahren, keine ganz leichte Kost für ein Publikum, das osteuropäische Musik bislang nur vom Hörensagen kennt. Doch der Enthusiasmus und die Tanzeinlagen der beiden Kaminers sind so überzeugend, dass sich die dicht gedrängte Masse auf der Tanzfläche schon sehr bald in Bewegung setzt.
Boney M.s "Moskau" bricht dann nach einer Stunde endgültig das Eis. Anschließend versinkt die Berlin Bar in einen kollektiven Taumel, der an das Kaffee Burger in seinen besten Tagen erinnert. Erst um drei Uhr gehen die letzten Tänzer nach Hause, das ist für australische Verhältnisse eine very late night. Gerade mal ein paar Stunden Schlaf bleiben den Kaminers, bevor sie am nächsten Morgen den 24-stündigen Horrorflug zurück in die deutsche Heimat antreten. Dort wartet schließlich wieder die Ochsentour durch die Provinz.
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