Wissenschaftlerin fordert öffentliche Autos: Der Automarkt muss schrumpfen
Händler klagen über Umsatzeinbußen, erste Filialen müssen schließen. Doch die Verkehrsforscherin der TU Berlin, Christine Ahrend, sieht in der Krise auch eine Chance. Sie fordert "öffentliche Autos".
Die weltweite Wirtschaftskrise hat Berlin erreicht. Autohändler klagen über Umsatzeinbußen bis zu 30 Prozent, Mitarbeiter werden entlassen, erste Filialen geschlossen. "Die Autohäuser sind die großen Verlierer der Krise", sagt der Geschäftsführer der Innung des Kraftfahrzeuggewerbes Berlin, Dieter Rau. Doch für die Verkehrsforscherin Christine Ahrend birgt die Krise auch Chancen. Die Professorin am Institut für Land- und Seeverkehr an der TU Berlin träumt von einer Verknüpfung zwischen öffentlichem und privatem Verkehr sowie der Senkung von Schadstoffemissionen, kurz: der Einführung des "öffentlichen Autos".
Kern der Idee ist es, im öffentlichen Stadtraum Autos zur Verfügung zu stellen, die von jedem jederzeit genutzt werden können. Postiert werden sollen sie an allen S- oder U-Bahn-Stationen der Stadt. "So kann man bequem von einem Verkehrsmittel aufs andere wechseln", sagt Ahrend.
Unterscheiden soll sich das "öffentliche Auto" von herkömmlichen Car-Sharing-Konzepten nicht nur durch die Stationierung an allen Bahn-Stationen. "Entscheidend ist, dass die Autos mit einem emissionslosen Antrieb ausgestattet sind", sagt Ahrend. Denn mit dem öffentlichen Auto solle nicht nur der Verkehr, sondern auch die Kohlendioxid-Emission verringert werden. Noch ist das "öffentliche Auto" nur eine Vision. Doch die Krise der Autobranche könne "Motor sein für die weitere Entwicklung", hofft Ahrend.
Skeptisch steht der Idee vom "öffentlichen Auto" Innungsgeschäftsführer Rau gegenüber. Und das nicht nur, weil er Probleme bei der technischen Umsetzung erwartet. "Dieses Projekt würde den Autohändlern Konkurrenz machen", sagt Rau. "Und denen geht es ohnehin schlecht."
Die Autohändler sind die Verlierer der weltweiten Finanzkrise. Davon ist nicht nur Rau überzeugt. Auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers ist nach einer Umfrage zu dem Schluss gekommen, dass die Perspektiven für Unternehmen der Autobranche "besonders schlecht" seien.
Zahlen zur Umsatzentwicklung in Berlin liegen Innungsgeschäftsführer Rau zwar nicht vor, aber er rechnet mit ähnlich hohen Einbußen wie in ganz Deutschland. "Bundesweit sind die Auftragszahlen für Neuwagen im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 11 Prozent zurückgegangen, die Zulassungen um 8 Prozent." Vor allem für Autohändler ohne einen Service- und Werkstattbetrieb sieht Rau schwarz. Dieser Bereich sei der einzige, der von den Einbußen einigermaßen verschont geblieben ist.
Bestätigen kann das auch Michael Wünsch, Leiter einer Toyota-Filiale in Weißensee. Große Kundenevents mit Künstlerauftritten und teurem Catering hat der Unternehmer bereits gestrichen. Genau wie das Weihnachtsgeld und große Werbeanzeigen. Sechs der insgesamt 60 Mitarbeiter musste Wünsch entlassen. "Jeder Kostenträger", sagt er "steht auf dem Prüfstand."
Um 20 bis 30 Prozent sei der Verkauf in den vergangenen Monaten eingebrochen. "Wir leben von der Hand in den Mund. Die Situation ist grausam." Über eine Schließung der Filiale denke er allerdings nichts nach. "Und auch die Gehälter der Mitarbeiter sind gesichert."
Schwierig ist die Situation auch bei Opel-Händler Marion Riemer. Um 15 bis 20 Prozent sei sein Umsatz in den letzten beiden Monaten eingebrochen. Zwei Verkäufer musste er bereits entlassen, sagt er. Und die Suche nach weiteren Einsparmöglichkeiten gehe weiter. "Auch wenn es echt schwierig ist, noch einen Bereich zu finden, wo man sparen kann."
Die Geschäfte der Autohändler laufen schlecht, weitere Schießungen von Filialen sind nicht auszuschließen. Das will auch Dieter Rau nicht schönreden. Trotzdem warnt der Geschäftsführer der Kfz-Innung vor Panik. "Das wäre tödlich für die ganze Wirtschaft." Er plädiert an Händler und Verbraucher, optimistisch in die Zukunft zu blicken. "Denn jede Krise birgt auch Chancen."
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