Wissenschaftler über Spieltheorien: Vom Spiel des Lebens
Dass sich viele Entscheidungen im Leben mathematisch beschreiben lassen, ist die Idee der Spieltheorie. Rudolf Taschner hat ihr sein neuestes Buch gewidmet.
taz: Herr Taschner, wo liegen die Wurzeln der Spieltheorie?
Rudolf Taschner: Der Vater der Spieltheorie ist John von Neumann, ein mathematischer Tausendsassa und leidenschaftlicher Pokerspieler. Er hat sich Ende der 20er Jahre mit Strategien bei Gesellschaftsspielen beschäftigt. Das Problem ist folgendes: Die Konsequenzen des eignen Zuges sind für Spieler schwer voraussagbar und hängen stark vom Gegenüber ab. Bevor man sich für einen Zug entscheidet, muss man sich deshalb überlegen, wie der Gegenspieler reagieren könnte und welche Strategie er als nächstes plant. Von Neumann wollte diese Überlegungen mathematisch beschreiben. Das gelang ihm vor allem für Nullsummenspiele nach dem Prinzip „Was einer gewinnt, das verliert der andere.“ In der Mathematik stießen seine ersten Abhandlungen auf großes Interesse. Zusammen mit dem Ökonomen Oskar Morgenstern hat er die Spieltheorie noch auf ökonomisches Handeln übertragen und damit ihren Siegeszug angestoßen.
geboren 1953, ist seit 1977 Professor an der Technischen Universität Wien. Taschner gründete und betreibt zusammen mit seiner Frau und Kollegen der TU Wien „math.space“, einen Veranstaltungsort im Wiener MuseumsQuartier, der Mathematik als kulturelle Errungenschaft präsentiert. 2004 wurde Taschner zum „Wissenschaftler des Jahres“ gewählt. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, in denen er mathematische Phänomene verständlich erklärt. Sein Buch "Die Mathematik des Daseins – eine kurze Geschichte der Spieltheorie" ist im August 2015 im Hanser Verlag erschienen, 256 Seiten; 21,90 Euro.
Die Spieltheorie ist auf Probleme in Wirtschaft und Politik anwendbar. Doch dabei gibt es oft mehr als nur Sieg und Niederlage, nämlich Kompromisse.
Die Möglichkeit der Win-Win-Situation hat ein junger Amerikaner namens John Nash in die Spieltheorie eingebracht. Durch die Analyse von Strategien, von denen beide Parteien profitieren, wurde sie endgültig für die Wirtschaft und Politik interessant. Denn gerade in sehr komplexen Situationen zeigt sich, dass Kooperation oft die beste Strategie ist. Das gilt natürlich nicht für Poker und Co. Nash bekam übrigens für seine Erkenntnisse den Wirtschaftsnobelpreis.
Ein wichtiges Beispiel für ein Nullsummenspiel aus dem gemeinsamen Werk von Neumann und Morgensters ist „The Final Problem“ von Arthur Conan Doyle. Sherlock Holmes muss in dieser Kurzgeschichte um sein Leben fürchten. Er sitzt im Zug nach Dover. In einem anderen Waggon ist sein bewaffneter Verfolger Moriarty. Auf der Strecke hält der Zug nur in Canterbury. Die Frage lautet: Hat Holmes besser Chancen zu überleben, wenn er aussteigt, oder wenn er bis nach Dover fährt? Von Neumann und Morgenstern analysieren das Problem wie ein Pokerspiel. Ihre erste Erkenntnis überrascht wenig: In der Situation kann es nur einen Gewinner und einen Verlierer geben. Die zweite Antwort ist umso spannender: Holmes sollte einen Würfel werfen: wirft er 1, 2, 3 oder 4, steigt er aus, wirft er 5 oder 6, fährt er weiter. Er vertraut sein Schicksal dem Würfel an. Die Antwort mag für Holmes eher unbefriedigend sein. Doch Morgenstern und von Neumann gelang es mit diesem Gedankenexperiment, menschliches Handeln mit einer mathematischen Methode zu bewerten.
Basieren viele Entscheidungen in Politik und Wirtschaft auf der Spieltheorie?
Banken und Beratungsagenturen beschäftigen Spieltheoretiker. Sie versuchen die Strategien von Konkurrenten und Verhandlungspartnern vorauszusagen und bewerten das Risiko von Investitionen oder politischen Entscheidungen. Schon John Nash soll die amerikanische Regierung in der Kubakrise beraten haben. Inwieweit sich John F. Kennedy am Ende auf die Mathematik verlassen hat, kann man heute nur schwer sagen. Tatsächlich lassen sich aber viele komplexe Verhandlungsstrategien durch die Spieltheorie erklären. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Bemühungen von Griechenlands ehemaligem Finanzminister Yanis Varoufakis, übrigens einem ausgewiesenem Spieltheorie-Experten.
Die Verhandlungsstrategie von Yanis Varoufakis in Griechenlandkrise lässt eine Reihe spieltheoretischer Überlegungen erkennen. Auf den ersten Blick erinnerte sein und Wolfgang Schäubles Verhalten an das Feigling-Spiel: Zwei Halbstarke fahren auf der Landstraße aufeinander zu, und wer zuerst ausweicht, verliert. Weicht keiner aus, sind beide tot. Varoufakis selbst erklärte seine Situation einmal mit dem Gefangenen-Dilemma. Zwei Häftlinge stehen vor der Wahl, den anderen zu verraten oder mit längerer Haft für das Schweigen zu bezahlen. Gewinnen kann man nur als Verräter.
Auch die Überlegungen von "CoerciveDeficiency“ lassen sich erkennen. Dabei hat eine Partei von vornherein die schwächere Position und steigert diese Schwäche im Laufe der Verhandlungen noch, um den starken Gegner zu moralischen Zugeständnissen zu bringen.
Auch das Millionen-Spiel würde viele Verhandlungen erklären. Zwei Parteien verhandeln dabei über die Aufteilung von einer Million Euro. Um zu gewinnen, muss man sein Gegenüber überzeugen, dass man alle Angebote mit weniger als 700.000 Euro ablehnt. Das Gegenüber scheut im besten Fall einen Konflikt, bei dem beide Seiten verlieren, und nimmt das Angebot an. 300.000 Euro sind besser als nichts.
Auf welche Strategien der ehemalige griechische Finanzminister wirklich gesetzt hat, ist unklar. Allerdings hat die Spieltheorie Griechenland nur bedingt geholfen.
In der Kuba- und Griechenlandkrise gab es zähe Verhandlungen. Können Sie einmal die mathematischen Dimensionen der spieltheoretischen Beschreibung skizzieren?
Es wird eine Übersicht von Vorteilen und Nachteilen erstellt: Wenn die USA diesen Schritt ginge, reagiere die Sowjetunion mit dem jeweils anderen Schritt. So entsteht eine große Matrix aus über 3.000 mal 3.000 Feldern. Der Präsident bekommt daraus eine genaue Anleitung mit Entscheidungsketten: „Hier musst du lügen, da die Wahrheit sagen, dort schweigen, weil wir wissen, dass der andere wahrscheinlich da lügt, da die Wahrheit sagt, dort schweigt.“ Die mathematische Analyse ist extrem kompliziert.
Wie groß ist ihre Aussagekraft für das echte Leben?
Viele mathematische Modelle sind stark vereinfacht, aber beschreiben den Kern einer Sache dennoch gut. So ist das natürlich auch bei der Spieltheorie. Die echte Verhandlungsrealität ist einfach viel komplexer als das Modell und genau darin liegen die Grenzen.
Kann ich trotzdem die Spieltheorie für mein eigenes Leben nutzen?
John von Neumann hat die Spieltheorie erfunden und war trotzdem ein lausiger Pokerspieler. Die Spieltheorie ist nicht unbedingt zum Gewinnen erfunden worden, sondern dient eher zur besseren Analyse und Beschreibung von komplexen Situationen und hilft dabei, rationale Entscheidungen zu treffen. Ich vergleiche das gerne mit der Meteorologie. Wir können Wetter beschreiben und bedingt voraussagen, aber praktisch nicht beeinflussen. Ich glaube, im Alltag sollte man den gesunden Menschenverstand und das Bauchgefühl keinesfalls einer spieltheoretische Analyse opfern. Das macht aber die Beschäftigung mit ihren Problemen und Fragestellungen nicht weniger spannend.
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