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Wismar, Rostock, WarnemündeKrause, der Werftenretter

■ Kaum hatten die Arbeiter die Ostseewerften besetzt, kaum war Landesvater Gomolka außer Landes, da tauchte ein leibhaftiger Solidaritätsgast aus Bonn auf. Unerwartet, aber nicht...

Krause, der Werftenretter Kaum hatten die Arbeiter die Ostseewerften besetzt, kaum war Landesvater Gomolka außer Landes, da tauchte ein leibhaftiger Solidaritätsgast aus Bonn auf. Unerwartet, aber nicht uneigennützig: Bundesverkehrsminister Krause empfahl sich selbst als Gomolka-Nachfolger. Nächster Akt der Intrige: heute im Koalitionsausschuß.

Roland Marschner packt Detlev Duhr an der Segeltuchjacke und zieht ihn zur Tür. In dem engen Raum, den die Männer verlassen, stapeln sich Kaffeetassen und Flugblätter, surrt der Kopierer, schnarrt das Telefon. Leute laufen herum, reden, rufen. Am Tisch werden Listen für die Nachtschicht aufgestellt. Geld scheppert in der Spendenkasse. Das Aktionbüro der Werftsbesetzer in Wismar, gleich neben dem Haupttor zum Werk, ist ein Taubenschlag.

Auf dem kleinen Platz davor drängen sich Infostände; Fahnen der IG Metall hängen herum. Zwischen die Wismarer BürgerInnen, die wissen wollen, wie es auf „ihrer“ Werft steht, mischen sich Arbeiter in derben Schuhen und Anzügen. Marschner und Duhr passieren die Pforte zum Werksgelände; hier ist es ruhiger. „Wir wollen endlich wissen, wie es mit uns weitergeht“, knurrt Duhr. „Die von der Landesregierung eiern nur rum.“ „Die“, das sind Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU) und sein Wirtschaftsminister Conrad-Michael Lehment (FDP), zur Zeit die meistgehaßten Männer in Mecklenburg-Vorpommern. Sie favorisieren ein Konzept für die Werftindustrie ihres Landes, das die Belegschaften als „Ausverkaufspolitik“ bezeichnen.

Als letzte Woche die Treuhand die Entscheidung über den Verkauf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar (MTW) ein weiteres Mal verschoben, hatten es die Werftangehörigen endgültig satt: Die 3.200 Beschäftigen besetzten ihren Betrieb, zunächst unbefristet, heute soll darüber noch einmal entschieden werden. „Bei der Belegschaftsversammlung hat niemand dazu nein gesagt“, hört man vom Betriebsrat. Und auch die Geschäftsführung widersetzte sich nicht. Zwei Tage später schlossen sich die KollegInnen der Neptun- Warnow-Werft in Rostock und Warnemünde (NWW) und das Dieselmotorenwerk in Rostock (DMR) der Aktion an. Rund 6.000 demonstrieren jetzt in den Schiffsbaubetrieben der ehemaligen DDR.

„Die Besetzung ist allerdings nur symbolisch“, erzählt Duhr. „Die Produktion läuft normal weiter.“ Für die Betriebsräte Marschner und Duhr allerdings nicht. Die beiden Rohrschlosser, die gerade auf dem Weg zu ihrer Werkhalle sind, haben mit der Organisation der Besetzung genug zu tun. Wo sie in der Schicht ausfallen, arbeiten andere für sie mit. „Wir wollen schließlich nicht wieder als die faulen Ossis angesehen werden“, meint der schwarzhaarige Marschner und grinst. „Außerdem wäre das Werk dann noch schneller platt.“

Die beiden Arbeiter laufen vorbei am Ausrüstungskai. Hier werden einem Containerschiff die letzten Innereien eingebaut. An Schläuchen und Kabeln hängt der Schiffsrumpf wie an 100 Nabelschnüren. Metallkästen auf Rädern, sind an Land vor ihm aufgereiht — Schweißmaschinen, die vor sich hinzischen. „Unsere Auftragsbücher sind bis '94 voll“, erkärt Rohrschlosser Duhr. 21 Schiffe sollen bis dahin bei MTW gebaut werde, meist Gas- oder Öltanker.

Von allen Werften der Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG (DMS) — Nachfolgerin der DDR- Schiffbau-Kombinate — ist Wismar die feinste. Die Lage ist ausgezeichnet, die Ausrüstung relativ modern. Und: Die Löhne liegen 10 Mark die Stunde niedriger als bei HDW in Kiel. Marschner zeigt stolz auf drei neue Portal-Dreh-Kräne, die ihre Eisenarme in 60 Meter Höhe recken. „Wir sind das Filetstück, hat man uns immer gesagt. Und daß gerade wir uns keinen Kopp um die Zukunft machen müssen. Aber wenn es jetzt nach denen geht, kriegen wir nie einen Käufer.“

Den hatte die MTW eigentlich schon. Die Bremer Vulkan-Werft möchte sich das appettitliche Ostwerk einverleiben. Zuerst war man in Wismar gar nicht abgeneigt, dann aber siegte die Solidarität mit den KollegInnen der anderen Werften. In einem Konzept, an dem die Treuhand, der Aufsichtsrat der DMS und die IG Metall gemeinsam strickten, wurde der Schwerpunkt auf einen „eigenständigen, existenzfähigen Schiffbau“ in Mecklenburg-Vorpommern gegeben. Mathias-Thesen, Neptun-Warnow und das Igelmotorenwerk sollten nicht einzeln privatisiert, sondern nur im Verbund und unter Beteiligung des Landes verscherbelt werden.

Auch zu dieser Variante war Vulkan-Chef Hennemann nach Verhandlungen bereit und versprach, die meisten Arbeitsplätze zu sichern. Den Belegschaften war's recht, der IG Metall billig. Aber Wirtschaftsminister Lehment hatte andere Pläne. Er traut der Vulkan nicht über den Weg und will keinen Werftenmoloch an der Ostseeküste. Eine Beteiligung des Landes Mecklenburg- Vorpommern an seiner wichtigsten Industrie lehnt er ab. MTW soll an den Vulkan, NWW an den norwegischen Schiffebauer Kvaerner und DMR an MAN verkauft werden.

„Hennemann muß sich doch verarscht vorkommen!“ Der, der den Vulkan-Chef bedauert, steht mit Marschner und Duhr an der Helling — dort, wo die Schiffsteile zusammengebaut werden. Holm heißt er und ist Schmied auf der Werft. „Eigentlich ist es egal, ob nun die Vulkan oder jemand anderer einsteigt“, sagt er gerade und lehnt sich an die Stellage. „Nur eine Perspektive muß her.“ So denken die meisten bei MTW. Wenn die Werke im Verbund bleiben, glauben die Beschäftigten, könnten sie nicht so einfach geschluckt und dann kaputt gemacht werden. „Die Treuhand ist ja willig“, fährt Holm fort „nur die Landesregierung will keine Verantwortung übernehmen. Aber jetzt ist ja Krause gekommen.“

Am Zelt der IG Metall auf dem Werksgelände hängt ein Bild des Bonner Verkehrsministers, der gleichzeitig CDU-Chef in Schwerin ist. „Nicht nur lächeln, sondern handeln“, steht darüber. Das muß Krause gerochen haben. Lächelnd eilte er am letzten Freitag herbei, um vor der Belegschaft zu sprechen. „Der wurde aus Bonn geschickt, um hier Ordnung zumachen“, versichert Marschner, und Duhr nickt dazu.

Im blauen Mantel und mit Goldkettchen um den Schlips präsentierte der von Kohl inzwischen scheel angesehene Minister seine „Krause- Variante“: Selbstverständlich sollten die Werften und der Zulieferbetrieb in einer Zwischenholdigng zusammengefaßt werden, und noch eine Werft sollte dazu kommen — die in Stralsund, die alleine verkauft zu werden so gut wie keine Chance hat. Und selbstverständlich meinte Krause, müsse das Land sich beteiligen.

„Bravo“, riefen Schiffbauer und IG Metall in Wismar und waren begeistert von soviel Einsicht. Was nützt es da Wirtschaftminister Lehment — den sie an derselben Stelle zwei Tage vorher ausgebuht hatten —, daß er dieses Konzept als „Wunschträume, fern jeglicher Realität“ bezeichnet, die die Bundesregierung nicht tragen werde.

Krause bedankte sich artig bei den Wismarern, daß sie nicht zu so einem häßlichen Mittel wie Streik gegriffen haben, sondern „in ihrer Freizeit auf ihre Situation aufmerksam machen.“ Imme wieder mit den gleichen Worten und Gesten tat er kund: „Ich will, daß hier noch im Jahre 2000 Schiffe gebaut werden.“ Niemand widersprach ihm, natürlich. „Wenn es Schwierigkeiten gibt, rufen Sie mich an!“, schallte es von den Höhen des Podiums hinunter zu den ArbeiterInnen. „Diesmal bin ich von ganz alleine gekommen“, lobte sich der Ostminister — so als hätte er just diese Woche zum ersten Mal vom Werftenproblem in seinem Wahlkreis gehört.

„Lehment soll zurücktreten“, rief jemand aus der Menge. Und das ging Krause genau in die richtige Richtung. „Das ist eine richtige und wichtige Idee“, verkündete er der versammelten Belegschaft, versprach ihr eine endgültige Lösung des Problems bis Ende März und sauste in die Landeshauptstadt Schwerin. Dort hatte er freie Bahn, denn Landesvater Gomolka „guckt sich in den USA gerade die Indianer an“ (O-Ton eines Werftarbeiters). Krause brachte die CDU-Fraktion auf seine Linie und forderte noch am selben Nachmittag den Rücktritt des Wirtschaftsministers. „Unverfroren“, schimpfte daraufhin FDP-Generalsekretär Lühr in Bonn. So, als hätte er nicht begriffen, daß es Krause gar nicht nur um Lehment, sondern um den Landesvater geht. Auf Gomolkas Sessel möchte der Verkehrsminister landen, wenn er in Bonn gänzlich in Ungnade fällt. Und schon heute wird er im Schweriner Koalitionsausschuß weiter an Gomolkas Ast sägen.

Aber diese Winkelzüge interessieren die Wismarer weniger. „Krause hat uns eine Zusage gegeben. Endlich mal klare Worte“, lobt Rohrschlosser Marschner, während er mit Duhr zwischen Kabelrollen und Seilen zwischen den Schienen der Kräne und aufgeschichteten Stahlplatten weiter in Richtung Werkshalle geht. „Wenn die Werft tot ist, ist Wismar tot. Da hängt der kleine Privatkrauter und die Kaufhalle dran.“ — „Und wir sind stolz“, ergänzt Duhr, „daß wir endlich mal was gemacht haben und man auf uns guckt.“ Bascha Mika, Wismar

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