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Wirtschaftsstandort TürkeiEine Investition wert

Geringe Arbeitskosten, hohe Investitionssicherheit, günstige geostrategische Lage: Deutsche Unternehmer schwärmen für die Türkei.

Nicht nur für Tourismus, sondern auch für Unternehmen attraktiv: die Türkei. Bild: dpa

ISTANBUL taz | Hasan Alemdar nennt es die „penetration rate of washing machines“: „90 Prozent der Türken haben inzwischen eine Waschmaschine“, sagt der Chef der deutschen Henkel-Tochter mit Sitz im asiatischen Teil Istanbuls. Will heißen: Die Mittelklasse wächst rasant. Fast jede zehnte Türkin nutze heute Haarfärbemittel, schwärmt Alemdar.

Das bringt Henkel mit seinen 1.500 Mitarbeitern in der Türkei hohe Profite. Der Konsumgüterhersteller hat in den vergangenen fünf Jahren jedes Jahr 10 Prozent Umsatz zugelegt, 2011 waren es 25 Prozent. Seit 1965 ist die Firma aus Düsseldorf in der Türkei vertreten, es gibt sogar eigene türkische Marken: Das Waschpulver Persil heißt Tursil.

Henkel ist nicht das einzige deutsche Unternehmen, das sich hier wohlfühlt: Die Arbeitskosten sind gering, die Investitionssicherheit ist hoch, die geostrategische Lage ideal. Geschäfte mit Edirne oder Diyarbakir haben Tradition: Siemens lieferte schon 1856 den ersten Telegrafen an den Bosporus. Schon 5.000 Firmen soll es geben, etwa 300 kommen pro Jahr dazu, Tendenz steigend: „Wir haben Winzergenossenschaften, Computerservices und mittelständische Existenzgründer“, sagt Mark Landau von der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Istanbul.

„Ich habe gelernt, mit Powerpoint-Präsentationen um mich zu hauen. Doch hier ist ein Gespräch beim Tee viel wichtiger“, sagt Andreas Radmacher. Er ist Chef von RWE in der Türkei. Auch der sonst eher konservative Energiekonzern kommt nicht mehr ohne Dependance in Istanbul aus. Vor drei Jahren gingen die Essener am Bosporus an den Start. Rund 100 Mitarbeiter hat Radmacher, eines Tages soll die Türkei für RWE „zweiter großer Energiehub“ neben Deutschland werden. Das Kalkül: Die Türkei hat kaum Rohstoffe, aber ihr Wachstum braucht Energie. Die will Radmacher liefern.

Mehr Chancen als Risiken

Ende des Jahres will RWE per Joint Venture ein Gaskraftwerk mit 850 Megawatt Leistung eröffnen, es soll 350.000 Haushalte versorgen. Zwar liegt das Projekt wegen Klagen einer Initiative gerade auf Eis, doch sieht der RWE-Statthalter derzeit mehr Chancen als Risiken in der Türkei: Ob Irak oder Aserbaidschan, das Land sei umgeben von riesigen Gasvorkommen, sagt Radmacher. Und dennoch seien „die Gaspreise in der Türkei höher als in Deutschland“.

Viele Firmen sehen das Land längst nicht mehr als verlängerte Werkbank an. Wolf-Dieter Kurz hat inzwischen 300 Entwickler in seinem 5.000 Mitarbeiter starken Team. „Sie haben dieselbe Qualifikation, kosten aber nur halb so viel wie in Deutschland“, sagt der Chef von Mercedes-Benz Türk.

In seinen Werken in Hosdere und Aksaray lässt er Lkws und Busse montieren. Der Krankenstand ist nur ein Drittel so hoch wie in Deutschland, gearbeitet wird 6 Tage die Woche, 45 Stunden lang bei nur 15 Urlaubstagen im Jahr, Gewerkschaften sind verpönt. Eine Stunde eines Werkarbeiters kostet Kurz etwa 8 Euro – etwas weniger als in Brasilien, viel weniger als daheim in Schwaben.

Natürlich, glaubt Kurz, werde der türkische Boom durch die Krise in Europa leiden. Allerdings hat er da keine Bange: „Die Türken sind viel kampferprobter als wir“.

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4 Kommentare

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  • LA
    Leitender Angestellter

    Entweder wir sollten mit allen Mitteln versuchen das unsere und auch die anderen Unternehmen nicht dorthin abwandern oder aber wir pirschen vor und gehen eine innige und enge Partnerschaft eingehen.

    Eine wischi waschi Haltung wies Merkel gegenüber denen vorlegt schadet uns erheblich.

    Vergesst nicht Türken sind ein sehr nachtragendes Volk!

     

    Fragt sich den keiner warum Cameron den türkischen Regierungschef Erdogan zu der Eröffnung der Olymischen Spielen in London eine besondere Einladung zukommen lässt.

    Hollande wird sich wohl auch nichts dabei gedacht haben wenn er die Beziehungen zu den Türken unbedingt verbessern möchte und Erdogen urplötzlich seinen "Freund" nennt.

    Auch Obama hat wohl keinen anderen Busenfreund mehr, da Erdogan sein "vertrauter Freund" ist.

    Angie wird schon wissen was Sie tut oder???

  • U
    Unternehmer

    Alles Geld, das im Umlauf ist (und u.a. an bedürftige Menschen verteilt wird von Sozialpolitikern) wird erstmal in der Wirtschaft verdient oder man macht Schulden. Wohin das führt sehen wir ja seit 10 Jahren. Dieses permanente Unternehmer-Bashing und Drangsalieren / Abkassieren von Unternehmern führt nur dazu, das Investitionen halt in andere Länder verlegt werden, die sich die Hände reiben. Das wird vielen in D. auch irgendwann bewusst werden.

  • O
    oranier

    Schön, dass die taz mich mit derlei Informationen versorgt, da brauche ich die Financial Times nicht zu lesen. "Der Wirtschaftsstandort Türkei [ist] eine Investition wert", lehrt uns die Überschrift. Guter Ratschlag an die taz-Leser. Also los, investiert fleißig in der Türkei!

     

    Warum sich das lohnt?

    "Der Krankenstand ist nur ein Drittel so hoch wie in Deutschland, gearbeitet wird 6 Tage die Woche, 45 Stunden lang bei nur 15 Urlaubstagen im Jahr, Gewerkschaften sind verpönt"

     

    Na also, geht doch. "Gewerkschaften sind verpönt". - bei wem? natürlich klassenübergreifend bei DEN Türken. Da brauchen wir uns über die türkischen Werktätigen und ihre Arbeitsbedingungen keinen Kopf zu machen, denen geht es gut, die können sich deutsche Waschmaschinen und Haarfärbemittel leisten. Nähere Informationen über diese Klasse: uninteressant, jedenfalls für die taz. Die liefert stattdessen erfreuliche und ermunternde Berichte für uns Unternehmer und Investoren.

     

    So soll es sein!

  • N
    noevil

    Mit der Türkei im Bunde hätten wir nicht (nur) eine Konkurrenz mehr in der EU sondern (viel wichtiger) einen starken Partner mehr, mit dem zusammen die Währung erheblich gestärkt und die Krise besser bewältigt werden könnte. Vielleicht wäre sie weniger dramatisch ausgefallen.

     

    Aber nun können wir sehen, wohin uns die von unserer Kanzlerin so sehr ans Herz gelegte "privilegierte Partnerschaft" - unter Ausschluss einer Mitgliedschaft - hinführt, und was die Kehrseite unserer "einsamen Spitze" auch für uns bedeutet. In diversen Leserkommentaren habe ich schon vor langer Zeit davor gewarnt. Die Türkei lacht sich ins Fäustchen, wenn sie sich unsere langen Gesichter anschaut - zu Recht, leider - auch wenn das weder Griechenland noch unserer derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft Zypern schmecken will.