Wirtschaftsphilosoph über Firmenethik: Wirtschaft fehlt soziale Kontrolle

Angesichts der Telekom-Abhöraffäre fordert Wirtschaftsethiker Karl Homann mehr Ethik in Unternehmen. Und warnt: "Die Rate des Vergessens ist hoch."

Mitarbeiter bespitzeln um im internationalen Wettbewerb zu bestehn? Bild: dpa

Wirtschaftsethiker Karl Homann kann die Bespitzelungsaffäre bei der Telekom AG nicht sonderlich erstaunen. Sie bestätigt ihn geradezu in seiner Analyse: "Wir haben keine Ethik für Organisationen", sagt der Professor für Philosophie und Ökonomik an der Universität München. Weil ein wirksamer Kodex zivilisierten Verhaltens in vielen Konzernen nicht durchgesetzt werde, komme es immer wieder zu Skandalen und Gesetzesverstößen.

Die neueste Affäre betrifft die Deutsche Telekom AG. Das Unternehmen hat inzwischen eingeräumt, dass 2005 und 2006 mehr als ein Jahr lang die Verbindungsdaten von Telefongesprächen möglicherweise illegal ausgewertet wurden. Unter dem damaligen Vorstand Kai-Uwe Ricke und dem früheren Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel ist danach gesucht worden, ob Telekom-Manager und Aufsichtsräte interne Informationen an Journalisten ausplauderten.

Die Affäre bei der Telekom ist einer von vielen Skandalen, die deutsche Unternehmen in jüngster Zeit erschüttert haben. Bordellreisen auf Firmenkosten bei VW, Milliardenkorruption bei Siemens, Bespitzelung bei Lidl - diese Verfehlungen stehen im Gegensatz zu den wohlklingenden Imagebroschüren und Nachhaltigkeitsberichten, ohne die heute kaum noch ein Konzern auskommt. Auch die Telekom AG hat einen Ethikkode beschlossen und versichert, die Gesetze einzuhalten.

Wirtschaftsethiker Homann erklärt die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so: Die großen Unternehmen würden sich zu wenig darum kümmern, ihre guten, theoretischen Vorsätze im täglichen Geschäftsleben umzusetzen. Es fehlten wirksame, unternehmensinterne Institutionen, die zivilisiertes Verhalten garantierten.

Einen Anfang hat die Telekom vor Jahren gemacht: Ein sogenanntes Compliance Committee wacht über die Einhaltung der Gesetze und der firmeneigenen Ethikbestimmungen. Telekom-Mitarbeiter können anonyme Hinweise geben, die die Beschwerde-Einrichtung auswertet. In der aktuellen Abhöraffäre hat dieses firmeneigene Schutzsystem offensichtlich versagt. Um die Mechanismen zu verbessern, hat die Telekom jetzt die Kölner Rechtsanwaltskanzlei Oppenhoff & Partner beauftragt. Gerade Unternehmen müssten sozialverträgliches Verhalten immer wieder neu erlernen, weiß Wirtschaftsethiker Homann: "Die Rate des Vergessens in großen Organisationen ist hoch." Ganz besonders dann, wenn die Anweisung für den Gesetzesbruch von ganz oben kommt, wie 2005 offenbar bei der Telekom. Der interne Beschwerdeprozess kann sich auch deshalb als unwirksam erweisen, weil Untergebene davor zurückschrecken, gegen ihre Chefs zu ermitteln.

Gerade das Verhalten der Konzernspitzen ist aber oft das Problem. Wie die aktuellen Affären zeigen, erscheint Managern heutzutage einiges möglich und notwendig, was noch vor 20 Jahren undenkbar war. Zieht ein Unternehmen wie die Telekom auf den globalen Markt hinaus, steht es dort nicht nur unter hohem finanziellen Druck, sondern entfremdet sich von den Gesetzen und Wertvorstellungen seines Heimatlandes. "Transnationalen Firmen fehlt die direkte soziale Kontrolle", sagt Ingo Schoenheit, der das Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft in Hannover leitet. Er ist trotzdem optimistisch: "Die kritische, mobile Zivilgesellschaft muss die Unternehmen beobachten und sanktionieren." Genau davor hat die Telekom jetzt Angst: Sie befürchtet, dass noch mehr Kunden zur Konkurrenz wechseln. Wer will schon mit einem Unternehmen telefonieren, das seine Kunden bespitzelt?

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