Wirtschaftsexperte über die Finanzkrise: "Konjunkturprogramm nicht nötig"
Die Situation hat sich verschlechtert, sagt Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Selbstkritisch kommentiert er die Kurzatmigkeit von Prognosen.
taz: Herr Dreger, vor wenigen Wochen prognostizierten viele deutsche Wirtschaftsforscher für das nächste Jahr über 2 Prozent Wachstum. Jetzt senken sie ihre Vorhersagen plötzlich auf 1 Prozent, obwohl wenig Neues passiert ist - außer dass jetzt mehr Leute mehr Angst vor der Zukunft haben. Ist das seriös?
Die Lage hat sich durchaus zum Schlechteren verändert. Für Griechenland rechnet man jetzt damit, dass die Wirtschaft dieses Jahr um fünf Prozent schrumpft. Ältere Prognosen waren optimistischer. Deshalb wird den Deutschen nun klar, dass auch das zweite Rettungspaket für Athen nicht das letzte sein könnte.
Orientieren sich Ökonomen neuerdings zu sehr an psychologischen Indikatoren wie den Erwartungen von Marktteilnehmern statt an Basisdaten wie Preisen, Importen und Exporten?
Die Bankenkrise von 2007 und den von ihr ausgelösten heftigen Absturz haben unsere Prognosemodelle nicht richtig angezeigt. Daraus haben wir den Rückschluss gezogen, mehr kurzfristige Indikatoren einzubeziehen. Dazu gehört beispielsweise die Stimmung der Konsumenten und der Industrie. Für die Prognosen des DIW werten wir mittlerweile eine hohe Zahl an Stimmungsindikatoren aus, um einen Trend zu ermitteln - wobei aber die Analyse der ökonomischen Basis nach wie vor die wichtigste Rolle spielt.
Neigen Ökonomen neuerdings dazu, mögliche Risiken zu überzeichnen und damit zu verstärken, indem sie zu sehr auf die Hoffnungen und Ängste der Menschen vertrauen?
Christian Dreger, 52, leitet seit 2008 die Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Am Donnerstag präsentiert das DIW seine neue Prognose.
Man muss bedenken, dass momentane Stimmungen völlig in die Irre führen können. Ein Absturz der Aktienkurse an den Börsen kann ein Ausreißer sein oder der Beginn einer längeren Talfahrt. Kurzfristige Phänomene darf man nicht überbewerten.
Wichtige Branchen wie Maschinenbauer und Autohersteller melden auch für 2012 jede Menge Aufträge. Das scheint nicht auf eine neue Konjunkturkrise hinzudeuten.
Die deutsche Wirtschaft wird dieses Jahr deutlich schwächer wachsen als noch im Juni angenommen. Zu diesem Ergebnis ist das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gekommen. Statt der bislang prognostizierten vier Prozent werde das Bruttoinlandsprodukt 2011 nur um 3,2 Prozent steigen, so das IMK am Mittwoch. Für 2012 sagt das Institut eine wirtschaftliche Stagnation voraus. Ursache dafür sei vor allem die Schuldenkrise im Euroraum. Der deutsche Export leide unter den Sparprogrammen wichtiger Handelspartner. Zunächst werde sich das aber nicht negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken. (bv)
Die Auftragseingänge sind ebenfalls kein optimaler Indikator, um die Zukunft zu beschreiben. Denn Aufträge kann man auch wieder stornieren. Trotzdem ist es richtig: Die Auftragseingänge der Industrie deuten gegenwärtig zwar auf ein etwas schwächeres Wachstum hin, aber keinesfalls auf eine Rezession.
Trotzdem plädiert etwa die US-Regierung für ein europäisches Konjunkturprogramm. Ein guter Vorschlag?
Für Griechenland hat das DIW schon vor Monaten Stützungsmaßnahmen vorgeschlagen. Die bisherige Sparpolitik alleine wird dort nicht zum Erfolg führen. Stattdessen sollte die EU Zukunftsinvestitionen unterstützen, die Arbeitsplätze und Wohlstand generieren. Man könnte auch daran denken, Sonderwirtschaftszonen einzurichten, um neue Firmen anzusiedeln.
Brauchen Deutschland und andere Euro-Staaten ebenfalls einen ökonomischen Impuls?
Auch in Portugal könnte dies hilfreich sein. Was die gesamte EU betrifft, sehe ich gegenwärtig aber keine Notwendigkeit für ein Konjunkturprogramm. In Deutschland ist der Beschäftigungsstand sehr hoch und die Inflation leicht überdurchschnittlich. Zusätzliche Staatsausgaben würden die Nachfrage erhöhen und die Preise nach oben treiben, auch die Kosten der Arbeit.
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