Wirtschaftsexperte über Konjunkturprogramm: "Die Koalition hoffte auf ein Wunder"
Das Konjunkturprogramm der Regierung kommt unnötig spät, sagt Wirtschaftsforscher Ullrich Heilemann. Und: Neue Steuersenkungen bringen nichts. Die Bau-Aufträge müssen auch bewältigt werden können.
taz: Herr Heilemann, ist das jetzt ein Konjunkturpaket nach dem Herzen eines Wissenschaftlers, was die große Koalition am Montag vorlegen will?
Ullrich Heillemann, 64, ist Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Leipzig.
Ullrich Heilemann: Nur sehr eingeschränkt - abgesehen davon, dass offen ist, was von den Vorschlägen schließlich im Gesetzblatt steht. Fest steht, dass sie unnötig spät kommen. Die Infrastrukturprojekte werden helfen - wenn es schnell geht. Die geplanten Steuersenkungen dagegen wenig. Sie dürften teils gespart, teils für importierte Güter ausgegeben werden. Große Sprünge lassen sich mit den Entlastungen sowieso nicht machen. Primär ist ihr Charme politischer Natur: ihre Sichtbarkeit und dass sie 2011 ohnehin fällig gewesen wären.
"Schnell, zielgerichtet und befristet" ist das ideale Konjunkturprogramm. Welches der Kriterien ist erfüllt?
Schnell hat die Regierung keinesfalls gehandelt. Obwohl seit Spätsommer 2008 fast alle Indikatoren auf "Handlungsbedarf!" standen, begnügte sie sich mit dem Konjunkturpaket I, einem unbedeutenden und wirkungslosen Sammelsurium. Die Koalition scheute sich offensichtlich, ihr bisher um jeden Preis verfolgtes Ziel des Nulldefizits aufzugeben, und hoffte noch auf ein Wunder, als die weltweite Krise gar nicht mehr zu übersehen war. Zielgerichtet und befristet sind vor allem die Investitionen. Ob sie tatsächlich zusätzlich sind oder ob nur auf ohnehin vorgesehene Projekte das Konjunktur-Etikett geklebt wird, bleibt abzuwarten.
Aber es gibt doch gute Gründe gegen neue Staatsschulden.
In einer Krise sollten die nicht überbewertet werden. Das Argument kann doch nicht lauten: Wir dürfen unseren Kindern keine Schulden hinterlassen. Sondern es muss lauten: Wir müssen den Kindern eine funktionierende Wirtschaft, Arbeitsplätze und Chancen für mehr Wohlfahrt und Wohlstand hinterlassen.
Kleine Steuerzahler zahlen aber die Zinsen für die Staatsschulden, die reiche Anleger einstreichen.
Nun, alle Käufer von Staatspapieren - weniger und mehr Betuchte, In- und Ausländer - profitieren davon. Und wenn es keine deutschen Staatspapiere gibt, werden eben die der Schweiz oder Brasiliens gekauft. Nein, Verteilungspolitik ist Sache der Besteuerung von Vermögen und Erbschaften. Nullverschuldung ist jedenfalls gegenwärtig kein prioritäres Ziel, auch wenn uns jetzt der Ehrgeiz der letzten Jahre zugutekommt.
Schnelle Investitionen sind meist das Gegenteil von nachhaltigen Investitionen: Wird das Weißeln von Klassenzimmern nicht zu Lasten der besseren Lehrerausbildung gehen?
Ein Konjunkturprogramm soll eben etwas anderes bewirken als eine Bildungsreform. Pisa ist das eine, die Stabilisierung der Konjunktur das andere. Wir müssen ja Gott sei Dank nicht den Schwarzwald weiß anstreichen, sondern haben genug mit der Sanierung von Schulen und Hochschulen zu tun. Entscheidend ist, dass die Gemeinden das Geld schnell ausgeben. Sie - und die Länder - entscheiden am Ende über den Löwenanteil der Investitionsausgaben. Um deren effiziente Verwendung wird es ein Hauen und Stechen geben.
Die Bauwirtschaft boomt sowieso - werden die schönen Steuergelder nicht bloß die Preise am Bau in die Höhe treiben, weil die Firmen gar nicht alle Aufträge bedienen können?
In der Tat ist offen, ob Impulse in Höhe von 20 oder 30 Milliarden Euro - ohne Preiserhöhungen - zu verkraften sind. Die Regierung hatte mehr als ein Vierteljahr Zeit, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Gehört hat man aber darüber nichts.
Viele Ökonomen befürchten, dass auch dieses Programm zu spät - und darum gar nicht - wirkt, weil die Rezession doch 2010 schon wieder vorbei sei.
Vorläufig gibt es dafür leider keine Anzeichen, im Gegenteil. Aber selbst wenn ein Teil der Maßnahmen in den Aufschwung fiele - wenn die Maßnahmen sinnvoll sind, wäre es kein Beinbruch.
Was war denn bislang das beste Konjunkturprogramm in Deutschland?
Das Zukunftsinvestitionsprogramm 1978 jedenfalls hat gut gewirkt - unter anderem deshalb, weil alle mitmachten: Die Zentralbank hielt die Zinsen niedrig, die Gewerkschaften machten moderate Lohnabschlüsse. Vor allem wurde in vernünftige Projekte, etwa die Säuberung des Rheins und anderer Flüsse, investiert.
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