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Archiv-Artikel

DEUTSCHLANDS ENERGIEHUNGER SCHADET DEM REGENWALD IN BRASILIEN Wirtschaftsabkommen ohne Feigenblatt

Das Timing war perfekt. Pünktlich zur Landung der deutschen Kanzlerin Merkel in der Hauptstadt Brasília steht Präsident Lula plötzlich ohne sein grünes Feigenblatt dar. All jene, die wie der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel die Wirtschaftspolitik Lulas gerne als „vernünftig“ preisen, konnten sich bislang auf seine Umweltministerin Marina Silva als Kronzeugin berufen.

Doch von ökosozialer „Nachhaltigkeit“ ist die Produktion von Agrotreibstoffen in Brasilien weit entfernt. Der forcierte Anbau hat die Zerstörung des Regenwalds und die Landvertreibungen befördert sowie zu einem drastischem Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Auf den Zuckerrohrfeldern herrscht eine moderne Form der Sklaverei. Die Monokulturen Zuckerrohr und Soja drängen tausende Kleinbauern in die Elendsviertel der Städte ab. Zusammen mit den Viehherden, die sie vor sich her treiben, dezimieren sie die Artenvielfalt Brasiliens, auch im Regenwald.

In Deutschland wollte man den Bekenntnissen aus Brasilien, der Biomasse-Anbau sei ohne soziale und ökologische Kosten zu haben, nur allzu gern glauben. Doch nicht nur in dieser Hinsicht stellt das Energieabkommen, das Lula und Angela Merkel gestern unterzeichnet haben, einen Etikettenschwindel dar. Denn nicht nur Agrosprit, auch der Bau von Wasserkraftwerken wird darin mit den Vokabeln „erneuerbar“ und „nachhaltig“ verkauft. Gab es unter Rot-Grün noch das ernsthafte Bemühen, das Atomabkommen aus dem Jahr 1975 durch einen Vertrag über erneuerbare Energien zu ersetzen, soll jetzt mit deutscher Hilfe der Atommeiler Angra 3 fertig gebaut werden. Wachstum um jeden Preis: Darin sind sich Lula und Merkel einig.

Der deutsche Hunger nach Energie und Rohstoffen ist gewaltig – vor allem Aluminium, Eisenerz, Holz, Rindfleisch und Soja werden in Unmengen aus Amazonien importiert, und auch deutsche Konzerne profitieren von Infrastrukturprojekten, die dem Regenwald den Garaus machen. Da fällt es schwer, sich gegenüber Brasilien als ökologischer Lehrmeister aufzuspielen. Echte Umweltdiplomatie aber sähe anders aus. GERHARD DILGER