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WirtschaftDieser Tunnel ist nicht grün

Der Waiblinger Sägen-Unternehmer Rüdiger Stihl will, dass ein vierspuriger Tunnel vor den Toren Stuttgarts gebaut wird. Eine aufwendige Werbekampagne gaukelt Naturverträglichkeit und Bürgerbeteiligung vor.

Greenwashing vom Feinsten: Mit einer Familie im Grünen wird der vierspurige Stuttgarter Nordostring beworben. Foto: Jens Volle

Von Jürgen Lessat

So oder so ähnlich muss das Paradies aussehen: Familienglück in der Natur, blauer Himmel, herrlicher Sonnenschein. Die Tochter auf den Schultern des Vaters pflückt einen Apfel im Blätterdach über ihr. Die Mutter schaut lächelnd zu. Eine Idylle in grün.

Die drei vom Garten Eden, derzeit auf Großplakaten in der Region Stuttgart anzutreffen, werben in Wahrheit für den Bau einer vierspurigen Bundesstraße, den sogenannten Nordostring bei Stuttgart: ein Straßenprojekt, das die letzte Lücke eines autobahnähnlichen Rings um die Landeshauptstadt schließen soll.

Nicht bei allen kommt das gut an. „Es ist eine beispiellose Werbekampagne, bei der oft noch nicht einmal Ross und Reiter genannt werden“, kritisiert Joseph Michl von der Arge Nord-Ost, die seit Jahren für den Erhalt der vom Straßenbau bedrohten Freiflächen kämpft. „In geradezu Trumpscher Manier wird der Nordostring-Tunnel als neues Heilsversprechen für die Infrastruktur in der Region Stuttgart beworben“, meint der Vorsitzende der Bürgerinitiative.

Tatsächlich sucht man auf den Plakaten vergeblich das Asphaltband, über das sich laut Prognosen künftig 67.000 Fahrzeuge täglich wälzen sollen. Stattdessen promotet die Kleinfamilie den „Grünen Tunnel“. Rein sprachlich ist der ein Oxymoron, weil Tunnel typischerweise dunkel und beengt sind, während „grün“ Lebendigkeit und Natur suggeriert. Des Rätsels Lösung: Eine 10,7 Kilometer lange Bundesstraße soll unter die Erde verbuddelt werden – damit sich Fuchs und Hase darüber weiter ungestört gute Nacht sagen können.

Seit Jahrzehnten ploppt die Diskussion über den Stuttgarter Nordostring immer wieder mal auf. Aktuell verstauben die Straßenpläne ohne greifbare Aussicht auf Realisierung im Bundesverkehrswegeplan. Für Befürworter:innen ist die Tangente zwischen der B27 bei Kornwestheim und der B14 / B29 bei Waiblingen unverzichtbar, um die ganze Region vom alltäglichen Staukollaps zu erlösen. Ein breites Umweltbündnis hält dagegen, dass es gerade in Klimakrisenzeiten gelte, eine der letzten grünen Inseln im Ballungsraum zu bewahren. Die betroffenen Felder und Wiesen seien Erholungsgebiet und Lebensraum. „Der Nordostring ist mausetot“, bekräftigt Arge-Vorsitzender Michl.

Die sympathische Kleinfamilie, teils um Hund und Großvater verstärkt, soll das Projekt dagegen wachküssen. Initiator der Werbekampagne ist der Unternehmer Rüdiger Stihl. Schon vor vier Jahren hatte der heute 80-jährige Firmenpatriarch des gleichnamigen Waiblinger Sägenherstellers das Tunnelprojekt öffentlich propagiert (Kontext berichtete ausführlich über Pro und Contra).

In Politik und Kommunen stieß das damals kaum auf Gegenliebe. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) initiierte zwar einen Faktencheck. In ihm rechnete der Bauingenieur Hans-Peter Kleemann vom Nabu allerdings detailliert vor, dass ein Tunnel aufgrund der riesigen Aushubmengen nicht ökologischer als eine ebenerdige Trasse ist. Ansonsten ergaben sich in der Zwischenzeit keine neuen Erkenntnisse. Mit Kornwestheim und Fellbach lehnen zudem weiterhin die Städte den Tunnel ab, denen er angeblich die meisten Vorteile bringen würde.

Wieder mal droht ein Milliarden-Projekt

Doch diesmal geht Stihl „all in“: mit Hilfe Dutzender Unternehmen aus der Region, die die Kampagne gemeinsam finanzieren. Das Budget spiegelt sich wider in der breiten Streuung von Anzeigen (Plakate, Radio, Zeitungen, Internet) sowie in der professionellen Umsetzung. „Gut für uns alle“ haben sich Werbetexter als Slogan ausgedacht, das Erscheinungsbild könnte auch zu einem Wahlkampf der Grünen passen.

Die Claims beglücken die Zielgruppen mit gängigen Argumenten. So sei der Tunnel gut für Berufspendler, weil „alle schneller ans Ziel kommen“. Gut sei er für Anwohner, weil er „für deutliche Entlastung sorgt“. Last but not least ist er „gut für unsere Zukunft“, und zwar „eine Zukunft ohne Stillstand“. Richtig geraten: weil der Tunnel die heimische Industrie und den Standort stärke. Nicht zuletzt sorge dieser angeblich sogar für mehr Grünflächen, weil bestehende Straßen flächensparender geführt werden könnten. Kurzum: „Die beste Lösung für den Nordosten Stuttgarts, die Ökologie und Ökonomie versöhnt.“

Ein Versprechen, das an die Lobeshymnen auf Stuttgart 21 erinnert. „Hunderttausende Euro werden dazu missbraucht, eine wichtige politische Entscheidung mit Hilfe bezahlter, fröhlich lachender, attraktiver Menschen und furchtbar plumper Parolen im Interesse weniger Nutznießer zu beeinflussen“, kritisiert Michl. Demokratie sei immer auch ein Wettstreit unterschiedlicher Ideen, von denen die besten sich dann hoffentlich durchsetzen. „Hierfür bedarf es jedoch zweierlei: guter, zutreffender Argumente ebenso wie einer ‚Waffengleichheit‘ bei den Mitteln, mit denen für die jeweilige Vorstellung geworben wird“, so Michl. „Beides ist hier nicht gegeben.“

Ein gewichtiges Contra: die immensen Baukosten. 1,6 Milliarden Euro veranschlagt Stihl selbst fürs große Buddeln. Ein Viertel mehr als noch vor vier Jahren, als er mit 1,2 Milliarden Euro rechnete. Schreibt man die Preissteigerung linear bis zum Ende einer angenommenen Planungs- und Bauzeit von 15 Jahren fort, dann wird der Tunnel wohl eher 4,7 Milliarden Euro kosten. Eine Summe, die realistisch erscheint. Der 1,3 Kilometer lange Rosensteintunnel, jüngster Straßentunnel im Zuge des B10-Ausbaus in Stuttgart, wurde bei Projektbeschluss 2009 auf 193,5 Millionen Euro taxiert. Bis zur Fertigstellung im März 2022 stieg die Bausumme auf 456 Millionen Euro – eine Steigerung von 136 Prozent. Der erhoffte Beruhigungseffekt für den Verkehr in der Region blieb ein uneingelöstes Versprechen.

Dessen ungeachtet haben die Werber inzwischen die zweite Kampagnenstufe gezündet. Anders als noch vor vier Jahren, als nur Unternehmen das Projekt unterstützten, soll diesmal der Souverän mit ins Boot. Die Bürger sollen über die unterirdische Ringstraße abstimmen. Eine Wahl haben sie dabei nicht: Im entsprechenden Online-Formular lässt sich nur bei „Ja“ das Häkchen setzen. Passen Neinsager Tunnelfan Stihl nicht? „Die Möglichkeit, für den „Grünen Tunnel“ zu stimmen, diene nicht als Entscheidungsinstrument, sondern als Signal an die Politik, dass breite Unterstützung für das Projekt besteht“, teilt ein Sprecher mit. Inzwischen seien „einige tausend Stimmen“ eingegangen.

Nach Kontext-Recherchen animieren einige Unterstützerfirmen auch im hauseigenen Intranet zur Abstimmung. „Bitte abstimmen“, fordert auch Thomas Fischer, Chef des Ludwigsburger Filterherstellers Mann + Hummel, bei LinkedIn. Dass sich hinter dem Engagement mögliche Interessenskonflikte auftun, erfahren Nutzer des Portals nicht. Die Ludwigsburger Firma produziert Luftfiltersäulen, die an verkehrsbelasteten Straßen gesundheitsgefährdende Feinstaubpartikel aus der Umgebungsluft fischen. Im „Grünen Tunnel“ könnten auch sie für saubere Luft sorgen.

Die Landesbank unterstützt die Kampagne

Auch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) unterstützt die Tunnelinitiative, was ebenso Fragen aufwirft. Etwa, wie sich das umstrittene Straßenbauprojekt, bei dessen Bau hunderttausende Tonnen Klimagase freigesetzt werden, mit den eigenen Nachhaltigkeitszielen verträgt? Oder warum sich das öffentlich-rechtliche Bankinstitut im Besitz des Landes und der Stadt Stuttgart für ein privat forciertes Straßenbauprojekt hergibt? Zumal der Hauptsitz der Bank mitten in Stuttgart steht und hervorragend an den öffentlichen Nah- und Fernverkehr angebunden ist.

Auf Kontext-Anfrage nimmt die Bank ausweichend Stellung, nahezu identisch mit Mitteilungen aus dem Waiblinger Kampagnenbüro („Gut für Standort, etc.“). Auf die Frage, ob man den Stihl-Werbefeldzug sponsert, gibt sich der LBBW-Sprecher zugeknöpft: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir über konkrete Inhalte der Zusammenarbeit keine Auskunft geben können.“

Der Zeitpunkt der Kampagne legt nahe, dass der Tunnel auch zum Wahlkampfthema gemacht werden soll. Im Februar wird ein neuer Bundestag gewählt, im Frühjahr 2026 folgt die Landtagswahl in Baden-Württemberg. Doch selbst beim konservativen Durchmarsch in Bund und Land wäre Stihls Tunneltraum nicht in trockenen Tüchern. Der Grund: der gigantische Sanierungsbedarf der Verkehrsinfrastruktur. Laut aktuellem Bundesverkehrswegeplan summiert sich dieser für Straße, Schiene und Wasserwege bis 2030 auf knapp 270 Milliarden Euro. Dazu werden laut einer Studie im selben Zeitraum 372 Milliarden Euro benötigt, um kommunale Verkehrswege zu erhalten.

Viel billiger käme es, das größte verkehrliche Nadelöhr im Stuttgarter Nordosten aufzuweiten, dort, wo auch Stihl wohnt: die alte zweispurige Neckarbrücke in Remseck. In einem Bürgerentscheid stimmte bereits eine Mehrheit für einen vierspurigen Brückenneubau flussaufwärts. Für Stihl ist die sogenannte Westrandbrücke hingegen nur „eine lokal begrenzte Maßnahme“. Das sieht Joseph Michl vor der Arge Nord-Ost völlig anders: „Fallen Sie nicht auf die Werbekampagne für den ‚Grünen Tunnel‘ herein. Helfen Sie bitte mit, dass auch Ihre Freunde, Bekannte und Nachbarn nicht darauf hereinfallen und kein unbedachtes „Ja“ dafür abgeben“, lautet sein Appell.

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