: Wird hier Wasser gepredigt und Wein getrunken?
■ betr.: „Im Ozonloch der Mitte ver glüht“, taz vom 10.1.94
Sicher, nach dem Krieg sind viele, für das spätere Wachsen der Stadt, unbehagliche und aus heutiger Sicht auch verwerfliche Wege in der Stadtplanung beschritten worden. Die schiere Unlösbarkeit des so gearteten „Kulturforums“ mit der alles zerschneidenden und verunmöglichenden neuen Führung der Potsdamer Straße sind nur symptomatisch herfür. Und die vielbeschworene, scheinbare Moderne der Scharounschen „Stadtlandschaft im Wechselspiel naturräumlicher Gegebenheiten“ genauer hinterfragt, stellt sich mir die Frage: Wie könnte diese dann am sogenannten Kulturforum, bei all der mißlichen Akzeptanz des Individualverkehrs, aussehen?
Auch wenn direkter U-Bahn- Anschluß vorgesehen war/wäre, ließen sich die Anhänger des Autoverkehrs nicht in U-Bahnen und Busse zwangsverpflichten. Dieses Problem versuchte unsere Gesellschaft nicht zu lösen, und auch Scharoun begünstigte zumindest eine Häufung und Beschleunigung des Verkehrs durch sein geplantes Netz von Autobahnen. Es mußte somit mit entsprechendem Individualverkehrsaufkommen, auch am Kulturforum, gerechnet werden. Also wohin damit? Entsprechende Autostellflächen auf, unter oder über der Erde sind unvermeidbar und müßten eingeplant werden – vielleicht ein Parkhaus in Scharounscher Solitärarchitektur? Es ist blauäugig zu glauben, dies könne mit der Idee von „Stadtlandschaft“ in Einklang gebracht werden, wie wir sehen.
Die „Stadtlandschaft“ ist damit bereits, und nicht durch das andauernde „Planungshickhack und ein konservatives Bewußtsein“, ad absurdum geführt. Was bedeutet schon dieses Rivalisieren, dieses Gegeneinanderführen von „modern“ und „konservativ“, sind dies die entscheidenden Kontrahenten?
Es geht nicht nur um modern oder konservativ, es geht auch nicht um die heilige Kuh Scharoun, sondern es geht darum, die negativ leidliche Planungshinterlassenschaft auch angesichts der Potsdamer Platzbebauung zu lösen. Den heutigen Neubauvorhaben am Potsdamer Platz jedenfalls können nicht die versäumte städtische Westan- und Einbindung des „Kulturforums“, nicht die heutige Trassenführung der Potsdamer Straße und auch nicht das wiederholt beklagte nichtgebaute Kultur- und Gästehaus angelastet werden. Eine heutige Rückbesinnung auf historische Werte ist eben nicht partout ein konservatives Ansinnen, sondern nährt sich aus dem Unvermögen der Moderne, städtische Probleme menschlich, sozial und kultiviert zu lösen. Dies, seit mit stadtsprengenden, funktionstrennenden, menschenverachtenden Stadtplanungskonzepten demonstrativ gegen die historische Stadt vorgegangen und das Bedürfnis der Menschen nach großstädtischer Geborgenheit, Vielfalt und sinnlichem Erlebnisbedürfnis ignoriert und zerschlagen worden ist. Dabei wohnen beispielsweise doch gerade Architekten, und ich kenne viele, so gerne im sanierten modernisierten städtischen Altbau. Wird hier Wasser gepredigt und Wein getrunken? Werner Brunner
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