■ Wird der US-amerikanische Neonazi Gary Lauck von Dänemark an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert?: Heim ins Reich
Gary Lauck darf man getrost als Neonazi beschimpfen. Er legt Wert darauf. Der 41jährige betreibt von den USA aus ein so aussichtsloses wie bizarres Unternehmen: Er möchte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei wiederbeleben und gründete zu diesem Zweck die sogenannte „NSDAP/AO“ – sprich „Aufbauorganisation“ mangels Masse. Deren „Auslandszentrale“ firmiert in Lincoln, Nebraska. Mr. Lauck ernannte sich – wen sonst? – zu ihrem „Propagandaleiter“. Sein Konterfei fehlt in keiner antifaschistischen Geisterbahn. Und unsere Verfassungsschützer, die sich auf Sektenforschung gut verstehen, wissen zu berichten (Bundesverfassungsschutzbericht 1992, S. 107), der Möchtegernführer aus den Staaten habe es in Deutschland so weit gebracht, „meist nur aus Einzelpersonen bestehende ,Stützpunkte‘“ aufzubauen.
Das sind die verderblichen Früchte des Postgroßkunden Lauck, der seine Politexistenz seit über 20 Jahren mit dem Versand einschlägiger Schriften fristet. Auch den „NS-Kampfruf“ (in dem der verblichene Michael Kühnen schrieb) hat er im Programm. In den USA, wo das Bürgerrecht auf Redefreiheit sehr ernst genommen wird, ist das ziemlich risikolos, wird allerdings auch nicht weiter beachtet. Kürzlich ging Lauck jedoch einen Schritt zu weit. Ihn zog es zu Gesinnungsgenossen nach Europa, und so wurde er am 16. März, nach Hinweisen des Bundeskriminalamtes, von der dänischen Polizei im Kopenhagener Vorort Greve verhaftet. Dort wohnt „Kamerad“ Jonny Hansen, der Parteivorsitzende der legalen „National- Sozialistischen Bewegung Dänemarks“. Die Regierung Kohl beantragte unverzüglich Laucks Auslieferung. Sie wirft ihm diverse Verstöße gegen deutsche Gesetze vor: die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda und Symbole, die Mitgliedschaft in der NSDAP/AO und rassistische Hetze.
Das ist allerhand. Die Sache hat nur einen Haken – das meiste davon ist in Dänemark, wie auch in anderen Ländern, nicht verboten. Sobald daher politische Strafsachen gegen Neonazis ins Spiel kommen, ergeben sich heikle, aber auch aufschlußreiche Probleme bei der internationalen Rechtshilfe. Das dänische Auslieferungsgesetz verlangt nämlich – nach dem international üblichen Prinzip der Wechselseitigkeit –, daß die betreffende Tat auch im Staat, der ausliefern soll, strafbar ist. Eben daran hapert es aber oft. In Deutschland wurden diverse Propagandadelikte eingeführt und verschärft, zum Beispiel der Volksverhetzungsparagraph, während in Dänemark lediglich ein eng gefaßtes Strafgesetz gegen Rassenhaß und die Herabwürdigung von Minderheiten gilt (§ 266 b). Deshalb wird die Auslieferung von Thies Christophersen, einem nach Dänemark geflüchteten Altnazi und Auschwitzleugner, bis heute abgelehnt. Daran wird auch eine in Dänemark umstrittene Verschärfung des Antirassismusparagraphen, die just am 1. Juni in Kraft trat, nichts ändern. Sie beschränkt sich auf die Zumessung der Strafe, ist mithin so moderat ausgefallen, daß fraglich ist, ob es sich überhaupt um eine Verschärfung handelt.
Im Fall Lauck, der noch nach altem Recht zu beurteilen ist, entsprach der dänische Justizminister dem deutschen Auslieferungsbegehren. Das Stadtgericht Roskilde bestätigte am 6. Juni die Einschätzung von Justizminister Björn West, der Teile von Laucks Agitation als „besonders grobe“, eben herabwürdigende „rassistische Hetze“ gegen Ausländer und Juden eingestuft hatte. Nicht ohne Grund: Der NSDAP/AO- Häuptling sagte zum Beispiel in einer Rede, daß die Juden im NS- Staat „eher zu human behandelt wurden“ und daß „dieser Fehler nie wieder geschehen“ dürfe.
Die Entscheidung von Roskilde wurde von der nächsthöheren Instanz am 23. Juni bestätigt. Jetzt kann Lauck noch das „höjesteret“, das höchste Gericht Dänemarks, anrufen. Dem müßte jedoch das Justizministerium zustimmen, womit wohl zu rechnen ist, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Womöglich entscheiden die obersten Richter anders als ihre Kollegen der Vorinstanzen. Denn in Dänemark ist die Skepsis gegenüber staatlichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit groß – auch dann, wenn die unbequeme Freiheit von Neonazis zur Disposition steht.
Andererseits läßt sich Lauck zuweilen so grobschlächtig aus, daß die obersten Richter auch zu dem Ergebnis kommen könnten, seine Agitation sei nach dänischem Recht strafbar. Dies würde keine „Trendwende“ markieren, sondern dem besonders gelagerten Fall eines antisemitischen Hetzers gerecht werden. Es würde Lauck dann nichts nutzen, daß er in Dänemark mit einer wesentlich geringeren Strafe als in Deutschland davonkäme. Denn das dänische Auslieferungsrecht verlangt lediglich, daß die Tat vom Gesetz mit mehr als einem Jahr Gefängnis bedroht ist. Das aber ist beim Antirassismusparagraphen, der bis zu zwei Jahren Gefängnis vorsieht, der Fall.
Sollte Lauck ausgeliefert werden, stünde er nicht zum ersten Mal vor einem deutschen Gericht. Er bekommt öfter Ärger, wenn er auf Reisen geht. Anno 1974 aus dem „Reich“ als „unerwünschter Ausländer“ ausgewiesen, reiste er 1976 heimlich wieder ein, wurde in Mainz mit 20.000 Hakenkreuzaufklebern im Gepack verhaftet, wegen NS-Propaganda zu sechs Monaten Gefängnis nebst 1.000 Mark Geldstrafe verurteilt (§§ 86, 86 a StGB) und im August 1976 ein zweites Mal abgeschoben. Neuerdings geht das Verlangen der Bundesrepublik dahin, ihn via Dänemark zu reimportieren.
Der Streit um die Auslieferung von Lauck ist ein Indikator für die demokratische Reife diesseits und jenseits der deutsch-dänischen Grenze. Viele Dänen, in deren Gedächtnis die Naziokkupation ihres Landes lebendig ist, wollen sich nicht von ein paar Sektierern dazu provozieren lassen, die schließlich für alle geltende politische Freiheit auszuhöhlen.
Zweifellos liegen in Deutschland, dem Land der Nazitäter, die Dinge ein wenig komplizierter. Doch keine noch so schwere historische Schuld rechtfertigt es, bei ekelhaften antisemitischen oder fremdenfeindlichen Tönen das Recht der Meinungsfreiheit kurzerhand auszublenden, so wie es heute im Kampf gegen rechts üblich ist. Daher sollte man sich auch vor dem Fehlurteil hüten, die Strafgesetze Dänemarks seien „extrem liberal“. Diesem Fehlurteil liegt die Verwechslung von bundesdeutscher Ausnahmegesetzgebung und liberaler Normalität zugrunde.
In Dänemark mag man keine Neonazis, gewiß nicht. Man mag aber auch keinen deutschen Nachhilfeunterricht, wie mit diesen Wirrköpfen in einer Demokratie am besten umzugehen sei. Horst Meier/Alexander Molter
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