: Wird 2013 ein gutes Jahr?Ja
ZUKUNFT Finanzkrise, Klimawandel – und dann hat das neue Jahr noch die Pechziffer 13 im Namen. Immerhin haben wir den Weltuntergang erledigt
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Dimitris Rallis, 60, ist seit Mai 2010 griechischer Botschafter in Deutschland
Ich bin zuversichtlich, dass das Jahr 2013 europaweit Fortschritte erzielen wird. Griechenland hat bereits weitgehende und tiefgreifende Maßnahmen auf politischer und Verwaltungsebene eingeleitet. Wir hoffen, dass das Jahr 2013 zum Rückgang der Finanzkrise, der sich allmählich abzeichnet, und auch zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in meinem Land führt. Was Europa als Ganzes betrifft, erhoffe ich, dass im neuen Jahr die Politik den Menschen bewusster in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt und Räume für persönliche Kreativität und Entfaltung schafft.
Dorothea Schäfer, 55, Finanzmarktexpertin am Institut für Wirtschaftsforschung
Die europäische Bankenunion kommt voran. Die Eurostaaten legen den Grundstein für den gemeinsamen Restrukturierungsfonds und das gemeinsame Insolvenzrecht. Auch die europäischen Staaten werden Basel III noch mal überdenken und sich vom Irrweg der Risikogewichtung langsam verabschieden. Die Eigenkapitalquote als Verhältnis von Eigenkapital- und Bilanzsumme wird 2013 stärker in den Mittelpunkt der Basel-III-Regulierung rücken. Die Gesetzgeber in Europa werden sich zudem bemühen, die Regulierungsvorschriften von Ratingkennziffern zu befreien. Die Glaubwürdigkeit der drei großen Ratingagenturen leidet erneut und ihr Stern sinkt. Eine europäische Ratingagentur wird näherrücken. Die Finanztransaktionssteuer in der EU kommt außerdem voran. Die EU Kommission wird einen neuen Richtlinienentwurf für die „Koalition der Willigen“ vorlegen. Das wird ein umfassender Entwurf sein, der auch die Besteuerung der außerbörslich gehandelten Derivate mit einschließt. Schließlich wird sich herausstellen, dass die griechische Schuldenstandsquote weniger hoch ist als allgemein befürchtet.
Uli Schratbuch, 50, ist freier Autor. Er hat die Streitfrage auf taz.de kommentiertAller Voraussicht nach wird 2013 zumindest handwerklich ein ordentliches Jahr: 365 Tage, säuberlich in Wochen (52) und Monate (12) aufgeteilt, mit sporadisch eingestreuten Feier- und Brückentagen. In bewährter Manier folgen den Samstagen die Sonntage und den Sonntagen die Montage, hier beharrt auch 2013 auf der bewährten Abfolge – manchmal zum Unwillen der Fans. Trotzdem hat 2013 alle Chancen, zum beliebtesten Jahr im Hier und Jetzt zu werden und diese Stellung für vier Jahreszeiten zu behalten, wenn auch im letzten Quartal mit zunehmender Sommernostalgie zu rechnen ist. Im Vergleich zu anderen Jahren kann 2013 nicht mit einem zusätzlichen Tag aufwarten, und die Anzahl der prophezeiten Weltuntergänge hält ein gesundes Mittelmaß. Alles in allem: Das Jahr wird ausgesprochen erträglich.
Sven Plöger, 45, ist Meteorologe und Wettermoderator für Radio und Fernsehen
Das fängt schon damit an, dass 2013 überhaupt existiert! Ganz offensichtlich hat sich der für den 21. 12. 2012 prognostizierte Weltuntergang in engeren Grenzen gehalten. Außerdem ist die Erwartungshaltung bei einer „13“ niedrig, da fühlt sich am Ende Durchschnitt schon gut an. Apropos gut. Was lange währt: Ende 2013 wird die Energiewende zwar nicht fertig sein, auch nicht 2023 oder 2033. Aber wir werden vorankommen. Warum? Weil wir wissen, dass es keine sonderlich originelle Idee ist, weltweit täglich 14 Milliarden Liter wertvollsten Rohstoffs zu verbrennen und damit die Atmosphäre auf ihre Belastbarkeit zu testen. Es kommt der Punkt, an dem die Energiewende sich monetär auszahlt – und spätestens dann wollen sie alle. Kurios argumentiert wurde 2012: Wegen Erneuerbarer Energie wird Strom viel teurer. Klar, wird er teurer! Aber gegenüber was? Oder anders gefragt: Wer glaubt denn, dass Strom ab jetzt ohne die Erneuerbaren „billig“ bliebe? Bei Glauben fällt mir flott ein: Ich glaube, es gibt einen richtig schönen Sommer! Wäre ich kein Meteorologe, wüsste ich es sogar.
Nein
Ferdinand Dudenhöffer, 62, forscht und lehrt über die Automobilindustrie
Das Problem sitzt in Europa. In USA und Asien bleiben die Automärkte auf Wachstumskurs. In Europa kämpft der Automarkt mit der Staatsschuldenkrise. 2013 wird das schlechteste Jahr seit dem EU-Beitritt von Griechenland werden. Mit erwarteten 12 Millionen Pkw-Verkäufen werden in Europa gut 3,5 Millionen Autos weniger verkauft werden als unter normalen Verhältnissen. Zur Einordnung: 3,5 Millionen Verkäufe entsprechen 12 Autowerken, die stillstehen. Der europäische Automarkt wird Konsequenzen für die deutsche Autoindustrie haben. Einen Vorgeschmack gibt der Rabattwettbewerb. Noch nie wurde ein neues Fahrzeug, wie etwa der VW Golf 7, mit Verkaufsprämien in den Markt geschickt. Rekordrabatte, längere Weihnachtsferien, Kurzarbeit kennzeichnen auch deutsche Branchenunternehmen. Europa sitzt tief im Keller. Diesmal haben nicht inkompetente Manager, sondern Politiker die Krise verursacht, die den Menschen die Arbeit raubt.
Maria Scharlau, 31, verteidigt das Völkerrecht für Amnesty International
Auch 2013 wird Guantánamo, menschenrechtliches Schandmal der Vereinigten Staaten, wohl nicht geschlossen werden. Die USA schufen für ihren „Krieg gegen den Terror“ 2002 ein Gefängnis für Terrorverdächtige im rechtsfreien Raum. Unter Präsident Bush wurden dort die Gefangenen gefoltert, misshandelt und ihrer Würde beraubt. Ein rechtsstaatliches Verfahren bekamen sie nicht. Präsident Obama versprach bei seinem Amtsantritt 2009 Guantánamo zu schließen – fast vier Jahre später scheint das unwahrscheinlicher denn je. Zu groß ist der Widerstand des Kongresses, zu schwach scheint Obamas politischer Wille. Mehr als 160 Männer sitzen in Guantánamo – die Freiheit liegt für sie in weiter Ferne. 86 Häftlinge sind nachweislich unschuldig, doch sie sitzen fest: Die USA nimmt sie nicht auf, in ihre Heimatländer zurückzukehren wäre zu gefährlich. Nur die Aufnahme durch Drittstaaten würde ihrer jahrelangen Tortur ein Ende bereiten.
Werner Schneyder, 75, ist österreichischer Kabarettist, Regisseur und Schriftsteller
Es wird wieder 365 Tage haben, also weder an zerstörerischem Wachstum noch an deprimierender Rezession mangeln. Es wird sich mit vier Jahreszeiten bescheiden. Die globalen Versuche, das den Jahreszeiten zugeordnete Klima ad absurdum zu führen, werden vorläufig nur Teilerfolge haben. Der sinnlosen Vermehrung der Menschheit wird mit einigen soziologisch unvermeidbaren Hungerkatastrophen entgegengewirkt. Mit der Machtübernahme der zurzeit vitalsten Religion in arabischen Staaten ist ein Weiterbestehen der sittlichen Werte und der geschlechtlichen Rangordnung garantiert. Kollateralschäden im Umgang mit anderen Religionen gelten nach wie vor als göttliches Gebot. Hochwasserschäden und Lawinenkatastrophen werden auch im neuen Jahr in meiner Heimat die Existenz eines bewaffneten Heeres mehr als rechtfertigen.
Mike Nagler, 34, ist im Hochschulrat der HTWK Leipzig und bei Attac Deutschland
Deutschland ist nach wie vor das Land in Europa, in dem die soziale Selektion im Bildungsbereich am stärksten ist. Das liegt zu großen Teilen am Schulsystem, mit dessen Trennung in Haupt-, Realschule und Gymnasium ganze Lebensläufe sehr früh vorbestimmt werden. An den Hochschulen setzt sich das fort. Trotzdem gibt es positive Entwicklungen: Fast alle Bundesländer haben ihre Studiengebühren wieder abgeschafft. Bayern muss hier 2013 als letztes Bundesland nachziehen. Die Verfasste Studentenschaft – ein gesetzlich geregelter Zusammenschluss aller eingeschriebenen Studenten – wurde in Baden-Württemberg nach jahrzehntelangem Verbot wieder eingeführt. Bleibt die Frage, ob die Richtung der Kommerzialisierung von Hochschulen zugunsten der Wirtschaft umgekehrt werden kann hin zu einer demokratischen Bildungspolitik, die sich für alle gesellschaftlichen Schichten öffnet.