: „Wir wollen hier im Grünen wohnen bleiben“
■ Die Stadtrandsiedlung Schlierbacher Weg in Buckow soll abgerissen werden / Die Sozialwohnungen werden von der Eigentümerin „Stadt und Land“ systematisch vernachlässigt / Die billigere Instandsetzung statt eines teuren Neubaus wird nicht in Betracht gezogen
„Vor 35 Jahren waren wir gut genug, an den Stadtrand zu ziehen. Jetzt ist hier eine attraktive Wohnlage mit BuGa, Hallenbad, Schulen und Supermärkten, und wir sollen verschwinden, damit Gutverdienende ihr Eigenheim im Grünen bekommen“, empört sich Beate Timm. Die deutschen und türkischen Familien am Schlierbacher Weg in Buckow haben Angst, vertrieben zu werden. Seit die kleinen grauen Häuschen der Nachkriegssiedlung der landeseigenen „Stadt und Land“ gehören, werden Abrißpläne gehegt. Die 171 Sozialwohnungen werden systematisch vernachlässigt und entmietet - mit dem Segen des Neuköllner Bezirksamtes.
Abriß oder nicht entscheiden demnächst zwei neue Gutachten, ein soziales und eines zu den Baukosten. Beide hält der Bezirk seit Wochen unter Verschluß. Nicht ohne Grund: Mehr als 80 Prozent der Mieter wollen dort bleiben, keiner von ihnen kann sich eines der geplanten Eigenheime leisten. Eine teure Grundrißveränderung der Wohnung wollen nur wenige, vielmehr solle die „Stadt und Land“ die Häuser reparieren.
Das Bausubstanzgutachten ist in der Senatsbauverwaltung umstritten. Zwischen 70 und 85 Prozent der vergleichbaren Neubaukosten koste die Modernisierung. Aber die Zahlen werden angezweifelt. Die Außenwände seien stabil. Entscheidend seien aber nicht technische Fragen, sondern wieweit eine Modernisierung öffentlich gefördert werde. Das ist aber nur bei Häusern vorgesehen, die vor 1919 gebaut wurden. Aber möglich wäre eine politische Einzelfallentscheidung schon, ModInst-Mittel für den Schlierbacher Weg zu zahlen, bestätigte auch Bausenator Wittwer.
Wenn am Schlierbacher Weg neu gebaut wird, dann nach dem Ergebnis eines Bauwettbewerbs, der von dem Bremer Architektenbüro Schomers, Schürmann und Stridde vor zwei Wochen gewonnen wurde (die taz berichtete). Nach deren Planung sollen die neuen Häuser auf den alten Fundamenten aufgebaut werden, deren Baufälligkeit übrigens für die „Stadt und Land“ einer der Gründe war, den Abriß zu betreiben. Der Entwurf sieht circa 30 Sozialwohnungen und, baugleich, knapp 70 Eigenheime vor, letztere im Senatsprogramm „kosten- und flächensparendes Bauen“. Die Kosten spart das Programm nicht zuletzt durch die finanzielle Unterstützung der Wohnungsbaukreditanstalt: 15.000 Mark Zuschuß pro Eigenheim für den Erwerber und zinsfreie Eigenkapitalersatzdarlehen gibt es dafür, wie ein Sprecher der landeseigenen DeGeWo mitteilte. Eigenheime ohne diese Förderung seien um 25 Prozent teurer. Sie werden seit zwei Jahren angeboten, sind aber bisher nicht alle verkauft.
Die Instandsetzung am Schlierbacher Weg hätte 1980 nur 24 Prozent der vergleichbaren Neubaukosten betragen. Aber inzwischen hat die „Stadt und Land“ Fakten geschaffen: Die Fenster der Häuser verrotten, der Putz blättert von den Wänden, Keller stehen unter Wasser, Geländer und Regenrinnen sind kaputt. Die letzte Mieterhöhung aufgrund von Instandhaltungsaufwendungen zog die „Stadt und Land“ zurück, nachdem die Mieter Belege forderten. Die inzwischen 26 leerstehenden Wohnungen werden trotz fehlender Leerstandgenehmigung mit Wissen des Bezirksamtes nicht mehr vermietet. Neuköllns Baustadtrat Branoner (CDU) habe, so der AL-Abgeordnete Härtig, beim Finanzsenator beantragt, den Treuhandvertrag der „Stadt und Land“ so zu ändern, daß statt Sanierung der Abriß der Siedlung möglich sei. Die Zusammenarbeit zwischen Branoner und „Stadt und Land“ funktioniert nicht erst seit gestern: 15.000 Mark zahlte Baubetreuer Bertram an Branoner, damals Wahlkampfleiter der Neuköllner CDU, anläßlich eines Gesprächs über ein Bauvorhaben der „Stadt und Land“ an der Neuköllner Wissmannstraße. Bertram ist inzwischen zu Haft verurteilt.
„Wir wollen hier im Grünen wohnen, nicht in Rudow im 7. Stock neben dem Müllschlucker“, fordern die Mieter.
Eva Schweitzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen