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Archiv-Artikel

„Wir werden präsent sein“

PROZESSBEOBACHTER Der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck reist nach Buenos Aires. Bei den Verfahren gegen argentinische Militärs ist die Bundesrepublik Nebenklägerin

Wolfgang Kaleck

■ geb. 1960, ist Rechtsanwalt und Generalsekretär des in Berlin ansässigen European Center for Constitutional and Human Rights e. V. (ECCHR). Für das ECCHR reist er jetzt nach Buenos Aires, um die Prozesse gegen argentinische Militärs zu beobachten.

■ In den 1990er-Jahren vertrat er DDR-Bürgerrechtler, die ihre Stasiunterlagen einsehen wollten, später auch Opfer rechter Gewaltstraftaten.

■ Seit 1998 arbeitet er im Rahmen der Koalition gegen Straflosigkeit daran, Verbrechen der argentinischen Militärs aus der Diktaturzeit (1976–83) aufzuklären und zu sühnen. Aktueller Videoblog zu den Verfahren auf www.ecchr.eu

INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH

taz: Herr Kaleck, Sie sind auf dem Weg nach Buenos Aires, wo Sie als Prozessbeobachter erwartet werden. Worum geht es bei den jetzigen Verfahren in Argentinien ?

Wolfgang Kaleck: Die in Argentinien ruhenden Strafverfahren wegen Verbrechen während der Diktatur von 1976 bis 1983 werden wiederaufgenommen. Darunter einige Fälle, die wir seit 1998 in Deutschland juristisch ermitteln ließen. Wir betreiben seit 12 Jahren mit der „Koalition gegen Straflosigkeit“ Verfahren in Deutschland gegen argentinische Militärs. Mit der Prozessbeobachtung wollen wir das deutsche und europäische Interesse an den Verfahren ausdrücken.

Fälle, die Sie in Deutschland ermitteln ließen, werden jetzt in Argentinien verhandelt?

Sie sind Teil der Anklagen gegen hochrangige Militärs. Wir haben mit dem Mandat von deutschen Diktaturopfern und deren Angehörigen in vierzig Fällen Anzeige erstattet, die die Staatsanwaltschaft in Nürnberg/Fürth betrieben hat. Unser großes Vorbild waren die von Spanien aus geführten Verfahren gegen Angehörige der ehemaligen Militärdiktaturen. Insbesondere die Festsetzung Pinochets 1998 in London hatte Signalwirkung. Die Verfahren in Deutschland führten zu Haftbefehlen gegen hochrangige Militärs und verstärkten den Druck zur Wiederaufnahme der Verfahren in Argentinien. Nach dem Ende der Militärdiktatur wurde der Junta zwar 1985/86 der Prozess gemacht, aber bald wurden die Amnestiegesetze erlassen. In den Jahren der Straflosigkeit entschied sich die argentinische Menschenrechtsbewegung, europäische Gerichte anzurufen und auch in Deutschland Prozesse gegen die Militärs anzustrengen. Die Regierung von Nestor Kirchner hob dann 2003 die Amnestiegesetzgebung wieder auf.

In der Koalition gegen Straflosigkeit beschäftigen Sie sich als Anwalt mit deutschstämmigen Opfern der argentinischen Militärdiktatur. Was ist das Besondere an dieser Opfergruppe?

Die Militärs ließen 30.000 Menschen verschwinden. Es gab aus allen europäischen Staaten Opfer. Wir wollen die etwa einhundert Opfer mit deutschem Hintergrund nicht privilegiert behandelt sehen, sondern sahen in der Verbindung zu Deutschland eine rechtliche Möglichkeit, national zu agieren, um internationale Effekte zu erzielen. In Argentinien war es in den 1990er-Jahren nicht möglich, die Militärs vor Gericht zu stellen.

Diese Woche soll auch das Verfahren im Mordfall der Tübinger Theologentochter Elisabeth Käsemann neu aufgerollt werden. Welche Bedeutung kommt diesem Fall zu?

Der Mordfall Elisabeth Käsemann war einmal der bekannteste in Deutschland. Er hatte Ende der 1970er-Jahre zu einer starken Solidaritätsbewegung geführt. Der damalige westdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und die sozialliberale Regierung Helmut Schmidts wurden stark kritisiert.

Was war mit Elisabeth Käsemann in Argentinien geschehen?

Die junge Frau aus Deutschland wurde am 8. oder 9. März 1977 gemeinsam mit einer Kampfgefährtin in Buenos Aires verhaftet. Sie war nach ihrem Studium nach Argentinien gegangen und hatte sich dort in der Linken engagiert. Nach dem Militärputsch 1976 schloss sie sich dem Widerstand an. Sie war im Untergrund tätig, verschaffte Oppositionellen Pässe. Dann wurde sie verhaftet. Zwei Kolleginnen von ihr, eine französische und eine US-amerikanische Staatsbürgerin, wurden dank des Engagements ihrer Botschaften gerettet. Nach unserer Auffassung tat das Auswärtige Amt 1977 hingegen nicht alles, um Elisabeth Käsemanns Leben zu retten. Elisabeth Käsemann wurde nach wochenlanger Folterhaft im Lager „Vesubio“ von den Militärs in einem fingierten Feuergefecht am 24. Mai 1977 ermordet.

Was meinen Sie mit „fingiertem Feuergefecht“?

Die Militärs versuchten, den Tod von Käsemann und anderen als eine Folge von Kampfhandlung in der Nähe des Ortes Monte Grande darzustellen. Dagegen sprechen Zeugenaussagen von Mitgefangenen, die Elisabeth Käsemann noch lebend im Folterlager sahen. Gerichtsmedizinische Untersuchungen belegen, dass ihr mehrfach in den Nacken geschossen wurde. Die sozialliberale Bundesregierung ist damals auch nach Bekanntwerden dieser offensichtlichen Widersprüche erst viel zu spät bei der Junta vorstellig geworden, was auch zu einer Anzeige gegen das Auswärtige Amt führte.

Warum wird nun ausgerechnet der Fall Elisabeth Käsemanns nach über 32 Jahren in Buenos Aires neu verhandelt?

Dieser Fall wird deswegen neu verhandelt, da es ausgesprochen klare Beweise für den Mord gibt. Die Technik der Militärs bestand zumeist darin, die Leute verschwinden zu lassen. Im Falle Elisabeth Käsemanns hat man ausnahmsweise eine Leiche aufgefunden. Man kann aufgrund der Zeugenaussagen ihren vorherigen Lageraufenthalt belegen, die Folter nachweisen. Die in Deutschland durchgeführten gerichtsmedizinischen Untersuchungen widersprechen einer angeblichen Gefechtssituation. Angesichts der schwierigen Ermittlungssituation in Argentinien stellt dies eine gute Beweislage dar. Dies hatte auch dazu geführt, dass in Deutschland am 28. November 2003 das Amtsgericht Nürnberg/Fürth einen Haftbefehl gegen die früheren Juntachefs Jorge Rafael Videla und Emilio Massera erließ. Der Haftbefehl mündete in ein Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik Deutschland gegen Videla und Co. Und auch das ist jetzt ein Novum: Bei dem in Buenos Aires stattfindenden Käsemann-Prozess tritt die Bundesrepublik mit einem argentinischen Anwalt als Nebenkläger auf.

Wie lange, schätzen Sie, dürfte der Prozess vor dem Bundesgericht in Buenos Aires dauern?

Der Prozess gegen Angehörige des Ersten Heereskorps ist genauso wie der letzten Freitag angelaufene Prozess wegen der im geheimen Folterzentrum ESMA begangenen Verbrechen sehr komplex. Es geht um hunderte von Straftaten. Wir rechnen mit einer mindestens halbjährigen Prozessdauer.

Werden Sie die Prozesse über den gesamten Zeitraum als Beobachter begleiten?

Wir sind jetzt zum Prozessauftakt da und werden sicherlich immer wieder präsent sein. Zum Beispiel wenn Familienangehörige von Frau Käsemann sowie ihre überlebenden Begleiterinnen gehört werden. Viele Zeugen fühlen sich nach wie vor bedroht und wünschen vor Gericht begleitet zu werden.

Sie betreuen auch deutsch-jüdische Opfer wie Adriana Marcus, die in der berüchtigten ESMA in Buenos Aires gefoltert wurde. Ihr Fall ist Teil des ESMA-Verfahrens. Sie soll im Laufe des Prozesses aussagen. Wie gefährlich ist das für sie?

Vor drei Jahren verschwand der Zeuge Julio Lopez spurlos. Er war der wichtigste Belastungszeuge in dem Verfahren gegen den früheren Polizeichef der Provinz Buenos Aires. Auch in den ländlichen Regionen werden immer wieder Zeugen bedroht. Wir hoffen allerdings, dass der Fall Lopez ein Einzelfall bleibt. Aber natürlich wurden dadurch auch andere Zeugen massiv beunruhigt. Bei vielen Diktaturopfern kamen die ganzen alten Geschichten wieder hoch.

Wie ist das nun bei Adriana Marcus? Ihren Fall hatten sie ja auch versucht, in Deutschland zur Anklage zu bringen?

Adriana Marcus befindet sich in einer besonders ausgesetzten Situation, da sie in einer Kleinstadt in Patagonien lebt und sie auf den Schutz der Anonymität einer Großstadt wie Buenos Aires nicht rechnen kann.

Aber sie wird trotzdem aussagen?

Es fällt ihr wie vielen anderen Folterüberlebenden nicht leicht. Aber sie wird es tun. Fast alle Betroffenen sind davon überzeugt, dass die jetzigen Verfahren sinnvoll sind. Das Schicksal vieler Verschwundener ist ja bis heute ungeklärt, die Verbrechen sind ungesühnt.

Gibt es in Deutschland in diesem Zusammenhang eigentlich noch weitere offene Verfahren?

Ja, denn die Haftbefehle des Amtsgerichts Nürnberg sind nach wie vor in der Welt. Videla ist der bekannteste Fall. Er wird deswegen per Interpol gesucht. Argentinien kann er nicht mehr gefahrlos verlassen.